SPD–Chef Brandt zurückgetreten Das Ende einer 23–jährigen Ära

■ Der SPD–Vorsitzende stürzt über die Nominierung von Margarita Mathiopoulos / Sonderparteitag im Juni entscheidet über Nachfolge Brandt bleibt bis zum Juni amtierender Parteivorsitzender / Frau Mathiopoulos verzichtet auf ihr Amt als SPD–Sprecherin

Aus Bonn Ursel Sieber

Der SPD–Vorsitzende Willy Brandt ist gestern vorzeitig zurückgetreten. Sein Nachfolger wird noch am 16. Juni dieses Jahres auf einem Sonderparteitag bestimmt werden. Ursprünglich wollte Brandt sein Amt erst im Frühsommer 1988 zur Verfügung stellen. Bis zum Sonderparteitag allerdings wird Willy Brandt weiterhin im Amte bleiben. Damit ist Brandt über die Berufung der parteilosen Griechin Margarita Mathiopoulos gestürzt, die innerhalb der SPD eine sehr heftige Kritik an seinem Führungsstil und an seiner Person hervorgerufen hatte. Auf die Bestimmung des Nachfolgers auf einem Sonderparteitag hat sich gestern der Parteivorstand der SPD geeinigt. Willy Brandt selbst hat diesen Vorschlag unterbreitet, wie einer der stellvertretenden Vorsitzenden, Johannes Rau, der im Foyer der SPD–Zentrale wartenden Presse mitteilte. Wörtlich sagte Rau: „Der Vorsitzende der SPD, Willy Brandt, hat heute dem Parteivorstand mitgeteilt, daß er angesichts der öffentlich geführten Diskussion, für die die Reaktion auf die vorgesehene Besetzung des Pressesprechers der SPD nur ein Symptom sei, nicht die Absicht habe, seine Aufgabe als Parteivorsitzender bis zum Ende der Wahlperiode zu erfüllen.“ Mit dieser Entscheidung wolle er die Partei „vor verwirrenden und belastenden Diskussionen in einem Jahr wichtiger Landtagswahlen entlasten“, sagte Rau weiter. Die „Umstände“ des vorzeitigen Rücktritts würden „nicht nur in der SPD, sondern weit über die Grenzen unseres Landes hinaus Betroffenheit auslösen“. Bei Redaktionsschluß beriet der Parteivorstand über den möglichen Nachfolger Brandts wie über die Nachfolge von Parteisekretär Peter Glotz, der zum Jahresende abtreten wird. Zur Debatte stehen Vogel oder Lafontaine als Nachfolger Brandts. Fortsetzung auf Seite 2 Kommentar auf Seite 4 Hans Krollmann, der sich gegen 15 Uhr zum Wahlkampf nach Hessen aufmachte, sagte, er sei überzeugt, daß der Parteivorstand am Abend „mit klaren Patenten, auch mit Namen“ auseinandergehen würde. Gegenüber dieser Entwicklung rückte der Rückzug der von Brandt zur neuen Vorstandssprecherin ausgewählten Margarita Mathio poulos völlig in den Hintergrund. Margarita Mathiopoulos hatte zu Beginn der Sitzung des SPD–Präsidiums eine kurze Erklärung abgegeben und war dann wieder verschwunden. Am Vormittag sah man sie mit der Bemerkung „kein Kommentar“ zur saarländischen Landesvertretung zu einem Gespräch mit dem saarländischen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine gehen. Sie sei zwar überzeugt gewesen, „daß der Parteivorstand dem Vorschlag Willy Brandts gefolgt wäre“, so Margarita Mathiopoulos in ihrer Erklä rung. „Aber ich bin zu der Überzeugung gelangt, daß Willy Brandt durch meine Ernennung Schaden nehmen könnte“, sagte sie weiter, und „unter den gegebenen Umständen“ stehe sie daher nicht mehr als Sprecherin zur Verfügung. Daß Brandt durch sie Schaden näme, „würde ich nicht ertragen“, da Willy Brandt „zu den großen Persönlichkeiten der Nachkriegsgeschichte Europas“ gehöre, heißt es in ihrer Erklärung weiter. Der Parteichef nahm den Verzicht von Frau Mathiopoulos mit „Respekt für ihre persönliche Haltung“ zur Kenntnis und bedauerte zutiefst, daß ihre Ernennung zu einer Welle von Vorurteilen und Diffamierungen geführt habe. CDU–Generalsekretär Heiner Geißler bezeichnete die Entscheidung des SPD–Vorsitzenden als „logische Konsequenz aus der Zerstrittenheit und Richtungslosigkeit der deutschen Sozialdemokratie“. Wegen ihres „Anpassungskurses“ gegenüber den Grünen sei es Brandt und der SPD nicht gelungen, eine politische Alternative in der Opposition aufzubauen.