Micky Mouse fällt bei den Galliern ein

■ Für 15 Milliarden Mark entsteht in der Nähe von Paris das erste europäische Disneyland / Der Vergnügungspark soll 1992 fertiggestellt sein, dann hofft man auf 10 Mio. Besucher jährlich und zusätzliche zwei Mrd. Mark Devisen–Einnahmen

Aus Paris Georg Blume

Im Osten von Paris, im armen Osten, wie man sagt, ist die Stadt noch nicht so weit gewachsen. Schon zehn Kilometer vom Pariser Autobahnring entfernt wird die Landschaft hügeliger und die Luft rasch bäuerlicher. Die „Brie“ beginnt, das Land des vorzüglichen und weit über die Grenzen hinaus bekannten Brie–Käses. Aber wer wird hier in fünf Jahren noch vom Brie–Land sprechen? Seit gestern ist der Vertrag unter Dach und Fach. Der Premierminister persönlich gab seine Unterschrift: Das Brie–Land wird alsbald zum „Disneyland“. Kein Asterix bei den Amis ist geplant, nein, Micky–Maus kommt zu den Galliern. Dabei handelt es sich um das bedeutendste US–französische Geschäft seit dem Marshall–Plan. 15 Mrd. DM, mehr als Kalkar, soll der Spaß in den nächsten zehn Jahren kosten. Oder nein, man sagt, soviel will man investieren. Denn bezüglich „Eurodisneyland“ spricht man nur von Investitionen, einzig die Kommunisten beklagen den Einbruch der US–amerikanischen „Unterkultur“. Doch Investitionen schaffen Arbeitsplätze, und das versteht auch die KPF. Ein Vergnügungspark soll es werden, so schön wie Disneyland in Kalifornien oder Disneyworld in Florida. Drei Jahre währten die Verhandlungen zwischen der französischen Regierung und „Walt Disney Productions“ bis zum gestrigen endgültigen Vertragsabschluß. 1988 werden die Bauarbeiten beginnen. Bis dahin müssen noch 2.000 Hektar Brie– Land enteignet werden, auf denen später zunächst der 150 Hektar große Park und daraufhin - um ihn herum - 18.000 Hotelzimmer, 700.000 Quadratmeter Bürofläche, 60.000 Quadratmeter Geschäftsfläche, 5.000 Luxusappartements und vieles, vieles mehr entstehen soll. Zehn Millio nen Besucher werden dann ab der Fertigstellung des Parks 1992 im Jahr erwartet und mit ihnen zwei Milliarden DM zusätzlich an Devisen. Das alles soll 30.000 neue Arbeitsplätze schaffen. Kaum jemand wagte es da, sich dem Riesenprojekt ernsthaft entgegenzustellen. Die sechzig von den Enteignungen betroffenen Bauern vor Ort verkaufen ihr Land gerne für teure Dollar. Die lokalen Politiker der wenigen Dörfer, die heute das zukünftige Disneyland bevölkern, waren begeistert ob der neuen Bedeutung ihrer Kommunen. Nur eine einsame Bürgerinitiative in Bussy–Saint–Martin, einer 600–Seelen–Gemeinde, kämpfte tapfer gegen die Freizeit– Kolonialisierung. Doch ein wirkliches Aufbegehren gab es nicht. Eurodisneyland ist ein Projekt der „Cohabitation“. Gleichermaßen haben Sozialisten und bürgerliche Rechte an der Staatsspitze für die Verwirklichung des Projektes mit allen Mitteln gekämpft. Von Bürgerbefragungen oder Parlamentsabstimmungen keine Rede, da hätte es Schwierigkeiten geben können. Allein zwei Milliarden DM zahlt der französische Staat für Eurodisneyland. Und schon stellen Experten den möglichen Arbeitsplatzgewinn in Frage. Der angesehene Wirtschaftswissenschaftler Alain Lipietz kommt bei seinen Berechnungen auf ganze 7.500 neue Disney–Stellen. Demnach würde ein Arbeitsplatz bei Disneyland dem französischen Staat 300.000 DM kosten. Davon jedoch will in der Regierung niemand mehr etwas hören. Eurodisneyland ist auch ein populäres Prestigeprojekt. So wird es bald ein neues Traumschloß im Pariser Osten geben. Und dieser Traum ist nicht neu. Der Finanzminister von Ludwig XIV. ließ sich zu seiner Zeit im Pariser Osten ein Schloß bauen, das schöner als Versailles sein sollte. Sein König schmiß ihn dafür in den Kerker. Was würde Ludwig XIV. heute wohl zu Micky Maus sagen?