P O R T R A I T „Der mit den Klarsichthüllen“

■ Mit Vogel setzt die SPD auf kontinuierliche Langeweile / Statt Aufbruch zu neuen Ufern nun der Kampf mit der täglichen Aktenlage / Eine Entscheidung, die niemanden verletzt

Bonn (taz) -Eine goldene Uhr von August Bebel? Hans–Jochen Vogel, gerade 61 Jahre alt geworden und bald neuer Vorsitzender der SPD, ist gestern sogar zu kleinen Scherzchen aufgelegt. „Wenn der Willy die goldene Uhr von Bebel behalten möchte“, kann er das verstehen; schließlich hat er seine eigene Uhr und kann auch so „Pünktlichkeit“ garantieren. Wie es sich in Bonn gehört, trat er gestern gleich vor die Bundespressekonferenz: trotz der humoristischen Einlagen kurz, knapp, ein wenig barsch und verbindlich, wie immer. Bewegt dankt er Willy Brandt, spricht von der „Größe eines Mannes“, „dessen Verantwortungsbewußtsein sich auch in den bedrückenden Stunden der letzten Tage bewährt hat“, spricht auch dem Geschäftsführer Glotz Anerkennung für dessen „unermüdliche Pflichterfüllung“ aus, um dann den Kritiker/innen der von Brandt auserwählten Vorstandssprecherin Mathiopoulos sogleich die Leviten zu lesen. „Undisziplinierte, teilweise beschämende Äußerungen“ habe es da gegeben; Äußerungen, „die geeignet waren, Willy Brandt persönlich zu verletzen“. Das verurteilt er zutiefst. Vogel ist da ganz anders. Jede Frage, die gestern auf ein Gespräch im Februar abzielten, wo nicht nur seine Nachfolge, sondern auch die Kanzlerkandidatur Lafontaines ausgemacht worden sei, wehrte er heftig ab: Dazu sage er nichts, und auch die Neigung der Partei, so fügt er sarkastisch hinzu, „zur Unzeit“ Themen zu erörtern und „auf diese Art und Weise dem politischen Gegner zu helfen, ist deutlich geringer geworden“. Auch zu einer Zeit, als über die Nachfolge Brandts hin und her spekuliert wurde, schwieg Vogel wie ein Grab, und wo immer er gefragt wurde, sagte er immer dasselbe Sprüchlein auf: „Die Debatte war vor der (Bundestags–)Wahl schädlich. Sie ist auch jetzt nicht nützlich. Sie beschädigt den, der den Vorsitz innehat, und sie schadet denen, die genannt werden. Deshalb werde ich mich an dieser Debatte nicht beteiligen.“ Nun ist der Mann mit dem Spitznamen „Oberlehrer“ und „Einser–Jurist“ dennoch zum Parteivorsitzenden auserkoren worden. 1950 trat er in die SPD ein; zehn Jahre später wurde er mit gut 64% zum jüngsten Oberbürgermeister Münchens gewählt. Zum Image des Jungstars kam bald der Ruf des „Jusofressers“, als er sich in München unerbittlich mit den Partei–Linken, vor allem Städtebauminister und verlor 1974 als SPD–Spitzenkandidat gegen Franz–Josef Strauß die bayerische Landtagswahl. Im selben Jahr stürzte Willy Brandt in Bonn und Vogel wurde Justizminister im neuen Kabinett Schmidt. Unter seiner Federführung wurde in der Zeit der „Terroristen“–Hatz das Kontaktsperregesetz verabschiedet. Damals stand er noch im Ruf, ein verbiesterter Rechts–Außen–Sozialdemokrat zu sein. Erst später, nach seiner kurzen Zeit als Regierender Bürgermeister in Berlin und als Kanzlerkandidat nach dem Sturz Helmut Schmidts profilierte sich Vogel als gesprächsbereiter Poltiker „der Mitte“. Aber er ist immer einer geblieben, der im Hintergrund zu stehen scheint, selbst als Spitzenkandidat oder neuer Parteivorsitzender. Charisma hat Vogel nie entwickelt. Mit diesem Profil ist er am Montag abend nominiert worden. Klaus Matthießen, Minister bei Johannes Rau in Nordrhein–Westfalen, verbuchte in der Debatte am Montag dreierlei für Hans–Jochen Vogel: „Inhaltliche Festigkeit“, „Integrationsfähigkeit“, „Kontinuität und Erneuerung“. Viele im Parteivorstand, auch unter den „Vorstandslinken“, sehen in Vogel eine Person, die es in der Bund werden da wohl die pedantischen und oberlehrerhaften Attitüden des neuen Vorsitzenden, über die in der SPD viel gewitzelt wird (“Der mit den Klarsichthüllen“). So ist Vogel auch grauer Verleg sehr spektakulär, aber sie hält den Laden zusammen.“ Ursel Sieber