Eine Träne für Glotz

Unter den düsteren Wolken des Endes der Ära Brandt verschwindet der Abgang des Geschäftsführers Glotz - zu Unrecht. Während Brandt für den Generationswechsel in der Partei stand und es im Grunde eine Frage der Zeit war, wann er sich endgültig auf seinen Platz in der Geschichte niederläßt, ist die Figur Glotz und sein Rücktritt Ausdruck der Situation der Partei. An ihm rieb sich seit 1981 der Milieuwiderstand der SPD. Man nahm ihm übel, daß er schneller dachte und formulierte als der Ortsverein es gewohnt war. Doch das Mißtrauen seiner Person gegenüber blieb keineswegs nur der sozialdemokratischen Kultur gegenüber vorbehalten - es erstreckte sich weit in die Linke hinein. Mit Glotz durfte man sich nicht einlassen, schließlich machte er etwas, was noch schlimmer als Kapitalismus war: die moderne Sozialdemokratie. Gerade seine pointierte Rolle der exekutiven Intelligenz provozierte deutsche Vorbehalte. Linke Strategie und Machtbewußtsein widersprach der linksamtlichen Minderheitenkultur. In der SPD konnte er nie den Verdacht überwinden, daß er nicht mit voller Kraft „Der Steiger kommt“ singe. Latent wurde ihm vorgeworfen, er werde allzu alert die Partei an neue politische Moden anpassen. Dabei nahm er die sozialdemokratische Tradition ernster als die vielen Karrieristen, die den Stallgeruch adaptiert haben. Sein Programm war von Anfang an ein Spagat zwischen Erneuerung der Arbeiterkultur, Öffnung der Partei und Integration der neuen Intelligenz, es war das Programm der Versöhnung zwischen Arbeiterpartei und Dienstleistungsgesellschaft. Sein Angebot an die Linke war die Formel von Gramsci von der „linken Hegemonie“, d.h. das Projekt, die öffentliche Thematik zu besetzen, indem die Auseinandersetzung innerhalb der Linken organisiert wird. Damit ist er auf eine symptomatische Weise gescheitert: Wie wenig die Öffnung ins sozialistische Europa die Partei berührte, zeigt der Fall Mathiopoulos. Für die sozialdemokratischen Milieupolitiker war er ein Paradiesvogel, für die Linke war er der allzu clevere Funktionär. Trotzdem: Er hat das Amt des Geschäftsführers so aufgewertet, daß es jetzt so rücksichtslos erkämpft werden mußte. Anke Fuchs wird das Amt wahrscheinlich wieder aufs alte Maß zurückführen, zumal der Workaholic Vogel schlicht einen großen Teil der Glotzschen Tätigkeit an sich ziehen wird. Klaus Hartung