Die Revolution der Heiligen Madonna

■ Hochkonjunktur für die biblische Mutter Gottes: Römische Feministinnen entdecken auf einem Kongreß die „Maria Emancipata“ als Gegenfigur zur patriarchalischen Gesellschaft, während der Papst seine Marien–Enzyklika verkündet

Aus Rom Werner Raith

Die Schau, sonst mit gewohnter Selbstsicherheit zelebriert, hat dem Chef der vatikanischen Glaubenskongregation, Kardinal Ratzinger, diesmal ausgerechnet eine Gruppe aus demjenigen Teil der Menschheit gestohlen, für die Papst Wojtyla und sein Vorsteher des ehemaligen Inquisitionsoffiziums nun gerade sehr wenig übrig haben: die Frauen, Emanzipationskämpferinnen zumal. „Maria, die außergewöhnliche Geschichte einer außergewöhnlichen Frau“, hieß ein Kongreß feministischer Gruppen in Rom just am Vortag der Verkündung einer neuen Marien–Enzyklika, einer, die dem aus dem mariengläubigen Polen stammenden Papst besonders am Herzen liegen soll. Mehr als 30 Jahre nach dem Dogma der „leiblichen Aufnahme Mariäs in den Himmel“ durch Pius XII. wollte Johannes Paul II. gerade in bezug auf die Figur Marias ein Zeichen setzen - gilt die Madonna doch als einer der Haupttrennungsgründe zwischen Katholiken und anderen Kirchen. Wojtyla, der um jeden Preis während seiner Amtszeit wenigstens ein paar kleinere Kirchen - zum Beispiel eine der östlichen orthodoxen - in den Schoß des Katholizismus zurückholen will - sucht daher in seiner neuen Botschaft „Redemptoris Mater“ „die Mutter Gottes“ in den Vordergrund zu stellen, „nicht so sehr die Heilige“ - ein geschickter Zug, so sah es zunächst aus, denn mit der Formel können sich die meisten Christenkirchen einverstanden erklären. Bei näherer Durchsicht des Dokuments allerdings zeigt sich, daß die Mutter zwar in ihrer Gebär– und Gebetesfunktion ausführlich berücksichtigt, ihr sozialer Bezug, ihre Eingliederung in die damalige Gesellschaft aber fast völlig ausgespart ist. Gerade hier setzen die Feministinnen an. Mit einer auch von Theologen bestaunten Bibelsicherheit dozierte die Soziologin Cioia Di Cristofaro Longo darüber, daß „die Figur Marias voll dem damaligen Trend zur totalen Frauenunterdrückung entgegenläuft“. Beteten die Hebräer im Tempel „Herr, ich danke dir, daß du mich nicht als Heide geschaffen hast, nicht als Frau und nicht als Unwissenden“, so setzt Maria dem ein erstaunliches Selbstbewußtsein entgegen: „Sie zeigt sich imstande und entschlossen, ihre Dinge selbst zu regeln, nimmt ihre Mutterschaft nicht passiv, sondern in voller Autonomie und Verantwortlichkeit auf sich“ - ihrem „zögerlichen Josef mußte erst ein Engel im Schlaf die Leviten lesen, damit er bei seiner Verlobten blieb, als diese in Schande zu geraten drohte“. Mehr noch: Das „Magnificat“, mit dem Maria die Botschaft von der Geburt Jesu beantwortet, ist „die erste unumstößliche Forderung nach Frieden und Gewaltlosigkeit, nach Kontrolle und Enthebung der Mächtigen“, sagt Gioia Di Cristofaro Longo. „Formeln wie er übet Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn, er stößet die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen - solche Formeln sind das wirlich Neue im Neuen Testament, erst 30 Jahre später wird ein Mann, Marias Sohn nämlich, auf ähnliche Vorstellungen kommen.“ „Die Revolution der Madonna“ heißt denn auch der Untertitel des Feministinnenkongresses. Kardinal Ratzinger hat dafür freilich nur ein mildes Lächeln - das aber diesmal lange nicht so süffisant ausfällt, wie es einem Nachfahren der Heiligen Inquisitoren geziemt; man sieht, die Sache schmerzt. Die Frage der sozialen Marien–Figur, sagt er, werde man später behandeln, nicht umsonst habe der Papst das kommende zum Marien–Jahr erklärt.