Haft für Mißbrauch von Patientinnen

■ Fünfeinhalb Jahre Gefängnis für Mediziner, der Patientinnen betäubte und sexuell mißbrauchte / Bochumer Landgericht hält dem Arzt „integre Persönlichkeit“ zugute / Im Gerichtssaal verhaftet / Kein Berufsverbot

Von Petra Bornhöft

Recklinghausen (taz) - Zu fünfeinhalb Jahren Knast verurteilte gestern die Recklinghäuser Strafkammer des Bochumer Landgerichts den praktischen Arzt Dr. Jan Cierny wegen gefährlicher Körperverletzung von 35 Patientinnen, die er vor Ultraschalluntersuchungen betäubte. In zwei Fällen erkannte das Gericht, daß der 59jährige bewußtlose Frauen sexuell genötigt beziehungsweise vergewaltigt habe. Damit blieb das Gericht nur wenig unter der vom Staatsanwalt geforderten Gesamtstrafe von sieben Jahren. Für den „Arzt aus Leib und Seele“ hatte der Verteidiger Freispruch verlangt. Die nur an Frauen im Alter von 17 bis 44 Jahren praktizierte und in Fachkreisen gänzlich unbekannte „Behandlungsmethode“ des Dr. Cierny war unabhängig von konkreten Beschwerden stets gleich. Eine 17jährige Auszubildende hatte ohne weitere Erklärung „wegen Luft im Bauch“ vor dem Ultraschallgerät eine Spritze mit dem Narkotikum „Brevimytal Natrium“ erhalten. Als sie wieder erwachte, hatte sie sofort einen bösen Verdacht und verließ panikartig die Praxis. Das Gericht glaubte ihr, daß der Arzt sie an der Scheide berührt hatte. Ähnliche Erlebnisse hatten zahllose Patientinnen zwischen Juni 1984 und Juli 1985, doch erst die couragierte Hausfrau H. fuhr unmittelbar nach dem Erwachen aus der Narkose zu einem Gynäkologen und danach zur Kripo. Im Prozeß bestätigten Sachverständige die Vergewaltigung der schlafenden Patientin. Weiteren Zeuginnen - Oberstaatsanwalt Hirsch hält vier Vergewaltigungen und sieben sexuelle Nötigungen für erwiesen - mochte das Gericht nicht glauben. Es sei nur festzustellen, daß Cierny die Frauen „betäubt hat, ohne daß es notwendig oder auch nur vertretbar war“. Keine der Betroffenen sei vorher untersucht, über die Behandlungsmethoden aufgeklärt oder während der Narkose überwacht worden. Auf das Einverständnis oder Vorkehrungen zur Wiederbelebung der Patientinnen verzichtete der Arzt ebenso wie auf die Eintragung der Behandlung in Krankenunterlagen. Dieser Umstand weist nach Ansicht des Staatsanwaltes darauf hin, daß der Täter „aus rein sexuellen Motiven“ die Frauen betäubte. Doch auf Beweggründe für die Injektionen ging das Gericht mit keiner Silbe ein. Stattdessen hielt die Kammer dem Angeklagten dessen „integre Persönlichkeit bis zur Tat“ und eine 34jährige Berufspraxis zugute. Daß es über die Ausbildugn des 1975 aus der CSSR Emigrierten keine Nachweise gibt, erwähnte gestern niemand mehr. Da hieß es freundlich, Cierny habe sich während seiner Probe– und Aushilfstätigkeiten „spezielle Kenntnisse auf dem Ultraschall– Gebiet angeeignet“. Mildernd wertete Richter Heinrich Meer auch „die erheblichen Belastungen des Angeklagten und seiner Familie durch die große Publizität“ des Prozeses, über den die taz als einzige überregionale Zeitung mehrfach berichtet hat. Wegen der langen Strafe müsse der Verurteilte damit rechnen, nie mehr Arzt sein zu können, befand das Gericht und lehnte deshalb ein Berufsverbot ab. Wegen drohender Fluchtgefahr verließ Cierny als Häftling den Gerichtssaal.