Keine grünen Tropeninseln aus Filterstaub für die US–Army

■ Ein dubioser ökologischer Verein zeichnet verantwortlich für den giftigen Filterstaub in Wächtersbach Die Drahtzieher sitzen bei der 7. US–Army Europe / Klärschlamm sollte Südpolen fruchtbar machen

Von Michael Blum

Wächtersbach (taz) - Ein wenig verschlafen liegt das hessische Wächtersbach mit seinen knapp 11.000 Einwohnern in unmittelbarer Nähe der US–Garnisonsstadt Gelnhausen. Hier scheint die Welt noch in Ordnung: eine gepflegte Altstadt, ein echtes Schloß nebst Fürsten. Die Strukturprobleme der örtlichen kleinbauerlichen Landwirtschaft bereiten aber auch hier Sorge. Der Stadtsäckel ist fast leer, Industrieansiedlungen gab es in den letzten Jahren kaum. Seit Rosenmontag ist der Wächtersbacher Burgfrieden dahin und der Ort weit über die Grenzen der „Fulda–Gap“–Region hinaus bekannt. Mitten im Karneval wurde dort Filterstaub entdeckt, der aus der Schweiz nach Hessen transportiert worden war. Er war als „Zementbeimischung“ deklariert und lagerte auf dem ehemaligen Firmengelände Varta–Plastik, die dort bis 1983 Folien produziert hatte. Das Gelände gehört jetzt der Stadt Wächtersbach. Das Rätselraten um den giftigen Filterstaub begann. Am Ende entpuppte sich das Projekt, das helfen sollte, auch die hessischen Filterstaubprobleme durch Untermischen in Beton zu lösen, als getarnte Landbeschaffungsmaßnahme der amerikanischen Armee. Trotz teils geschickter Tarnung waren in den Jahren 1983 bis 1986 wesentliche Landbeschaffungs– und Erweiterungsprojekte der US–Army in Osthessen gescheitert. Sie hatte zuletzt versucht, über einen Strohmann und ein von ihm entwickeltes Bauherrenmodell die leerstehende Schuhfabrik „Wosana“ in Schlüchtern zu erstehen. Adressaten waren potente Steuerzahler aus dem örtlichen akademischen Mittelstand. Der Versuch wurde nun durch Recherchen der Neuen Hanauer Zeitung (NHZ) frühzeitig aufgedeckt und scheiterte. Kurz darauf, im Oktober 1986, gründeten hochdotierte Wissenschaftler und Bedienstete des „Corps of Engeneers“ (USA– REUR) den „European Ecological Club“. Der „Europäische ökologische Verein“ (EöV), dessen Vorsitzender US–Staatssekretär Dr. Siedney Nielsen ist, verschrieb sich in seiner als gemeinnützig anerkannten Satzung hehren Zielen: Umweltschutz in allen Facetten, sinnvolle Arbeit für Arbeitslose, Naturheilverfahren und „verstärkte Entwicklungshilfe“, Stichworte „Geburtenkontrolle reduziert Hungersnot“ und „Bewässerung von Wüsten“. Aufs Altenteil abgeschobene Wissenschaftler sollten zusammen mit jungen deutschen Kollegen diese grün–alternativ schillernden Rahmenrichtlinien erarbeiten. Laut NHZ wollten vermögende, kinderlose US–Wissenschaftler das Projekt finanzieren und so ihr Geld „für einen guten Zweck“ umverteilen. Der Bau eines „Wissenschaftszentrums“ war ebenso geplant wie die Errichtung eines „öko–Dorfes“ zur ökologischen Forschung. Das Ziel: Recycling–Möglichkeiten von Beton, Filterstaub und Klärschlamm. Rund um das öko–Dorf setzten die Planer phantastische Kuppelbauten, die sie als Gewächshäuser und üppige „Tropeninseln“ anpriesen. Das Gelände war schnell gefunden. Die Firma Varta–Plastik in Wächtersbach hatte nach ihrem Konkurs ein 20.000 qm großes Gelände hinterlassen. Firmenchef Frei ging in die USA. Während der Manöver der US–Army im Januar 1987 schlugen GIs ihre Zelte dort auf. Sie nutzten den 5.000 qm großen Hallenkomplex als Lager. Fischbecken oder Raketensilos? Unterdessen hatte der aus dem nahen Wächtersbach gelegenen Hasselroth stammende Unternehmensberater Franz Philipp die Geschäfte des „EöV“ übernommen. Philipp arbeitet für ein nagelneues Unternehmensberater–Büro, das im Dezember 1986 unter dem Namen „Eberhard von Frankenberg und Proschlitz“ gegründet wurde und in den Diensten der Mannheimer Immobilienprojektierungs– Gesellschaft „Sigma Projekt GmbH“ steht. Die „Sigma“ hat zwar in Mannheim keinen Telefonanschluß, dafür aber eine Eintragung im örtlichen Gewerberegister, datiert vom Oktober 1986. Das Geld für den Ankauf eines 1,6 Millionen Mark teuren Varta–Geländes sollte von dem Amerikaner Mark Ginagiacomo gezahlt werden. Der Anlageberater von amerikanischen und schweizerischen Firmen stelle die Summe per Unterschrift zur Verfügung, erteilte Unternehmensberater Philipp eine Generalvollmacht und verschwand. Den örtlichen Grünen und Friedensgruppen begann die Sache merkwürdig vorzukommen. Wozu, fragten sie sich, brauchen öko–Häuser massive, metertiefe Betonfundamente? Wozu braucht der Verein Fischaufzuchtbecken, ebenfalls aus Beton? Und welchen Sinn schließlich hatten diese Tropeninseln, rund um das Gelände auf den Gipfeln der umliegenden Hügel im Kreis liegend? Könnte, mutmaßten sie, daraus nicht flugs ein Leitstand, ein Raketensilo und eine Radarstation werden? Zudem fanden sie heraus, daß das Gemisch aus Filterstaub, das hier produziert werden sollte - ein US–Patent -, hochbelastbaren Spezialbeton ergeben werde. Er halte besonders hohe Temperaturschwankungen aus - solchen, wie sie zum Beispiel bei der Zündung von Raketen auftreten. „Phantastische Konstruktionen“ Grüne und Friedensgruppen schlugen Alarm. Der Verein zog sich zurück. Er habe keinen Bedarf mehr an dem Gelände. Philipp wurde vom Vereinsvorsitzenden entlassen und ging am 16. Februar 1987. Seine Geschäfte liefen jedoch teilweise weiter. Irgendwann zwischen dem 16. Februar und Rosenmontag, dem 3. März also, lieferte das Transportunternehmen „Contreba“ 28 Tonnen Filterstaub aus der Schweiz an (die „Contreba“ sitzt wie Philipp in Hasselroth und benutzt dessen Telex–Nummer und Büroräume). Der Filterstaub bestätigte die schlimmen Befürchtungen der ortsansässigen Kritiker. Sie hatten schon vorher beim Magistrat und beim Umweltschutzministerium interveniert, aber kein Gehör gefunden. Der grüne Staatssekretär Karl Kerschgens hatte das Projekt öko–Verein im Gegenteil als „Entsorgungsmaßnahme“ begrüßt. Er frohlockte noch Ende Januar: „Damit wären wir in Europa führend.“ Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft in Hanau wegen illegaler Einfuhr von Sondermüll gegen die Transport–Firma und gegen Franz Philipp. Staatsanwalt Kramer schließt angesichts „solch phantastischer Konstruktionen und Verwicklungen“ im Hintergrund der Filterstaub–Affäre „keine Geschichten mehr aus“. Mittlerweile nimmt die Verwirrung durch neue Informationen zu. Erst wurde angenommen, der zu Eisenbahnschwellen aufbereitete Beton plus Filterstaub solle der polnischen Eisenbahn verkauft werden (siehe taz vom 19.3.87). Die Staatsanwaltschaft ist inzwischen der Ansicht, daß auch Klärschlamm ausgeliefert werden sollte. Dieser war für den Export nach Südpolen vorgesehen, um dort „Ödland zu kultivieren“. Ermittlungen ergaben, daß die Finanzierung dieses Unterfangens von der Vatikan–Bank in der Schweiz übernommen worden wäre.