Thatchers Wahlkampfreise nach Moskau

■ Erste Reise eines britischen Premier seit zwölf Jahren nach Moskau / Waffendiplomatie als Wahlkampftaktik / Wie die Eiserne Lady von ihrer Reise in die Höhle des freundlichen Löwen nur profitieren kann / Oppositionsführer Kinnouk in Washington auf verlorenem Posten

Aus London Rolf Paasch

Die Welt ist ungerecht. Sie fährt zum Gegner nach Moskau und kann dabei nur gewinnen. Er dagegen lädt sich beim westlichen Beschützer in Washington ein und erhält eine klägliche Abfuhr. Die Rede ist von den beiden Bewerbern um das Amt des nächsten britischen Premiers, Margaret Thatcher und Oppositionsführer Neil Kinnock. Beide sind an diesem Wochenende in den Haupstädten der Supermächte auf Wahlkampftour, und wenn es ein illustrierendes Beispiel für die schwindenden Wahlchancen der Labour–Party gibt, dann ist es Kinnocks Reise zum Capitol Hill. Zwanzig Minuten hält der mächtigste Greis der Welt für den einseitigen Abrüster aus Großbritannien bereit. Skeptische US–Journalisten werden den Lehrling auf der Bühne der internationalen Politik vor den Kameras in den Schwitzkasten nehmen; die britische Boulevardpresse ist ihrem bevorzugten Feindbild sogar bis Washington nachgereist, um sich an seiner Erniedrigung zu ergötzen. Ganz anders steht es da um die Erfolgschancen der konkurrierenden Wahlkampftouristin. Es ist das erste Mal seit zwölf Jahren, daß ein britischer Regierungschef nach Moskau reist. Aber schließlich hat Frau Thatcher schon früher versichert, daß sie Gorbatschow mag. Vor ihrem Besuch klangen die Töne aus Moskau so freundlich, daß der Moskauer Korrespondent des Guardian schon vermutete, die sowjetische Führung wolle alles andere als einen Sieg der Labour–Party bei den in diesem Jahr anstehenden Wahlen. Eine Labour–Regierung, die die Amis von ihrer Insel schmeißt und dem Resteuropa damit die Möglichkeit einer größeren Unabhängigkeit von den Vereinigten Staaten vorspielt, so das Argument, liege nicht im unmittelbaren Interesse des Kremls. Denn nach dem Abzug der USA aus Europa ließe sich die sowjetische Präsenz in den Ostblockstaaten nicht mehr rechtfertigen. Am Ende eines solchen Prozesses könnte für Moskau das Horrorszenario eines in Form eines Vierten Reiches zusammenrückenden Mitteleuropas stehen. Dies sind selbstverständlich nur Spekulationen über die Thatcher– Euphorie in Moskau, und vor wenigen Tagen wurden die Töne aus der Sowjethaupstadt dann auch wieder frostiger. Wenn Frau Thatcher das Thema sowjetischer Kurzstreckenwaffen mit in die Verhandlungen zu den Mittelstreckenwaffen aufnehmen wolle, würden sich die Sowjets der bisher ausgeschlossenen britischen und französischen Atomwaffen erinnern, warnte eine Kreml–Stimme. Aber selbst wenn Maggie ohne sichtbare Verhandlungsergebnisse von ihrem Besuch aus Moskau zurückkkehrt, kann sie dies noch als Ergebnis ihrer berühmten Unnachgiebigkeit oder Sturheit verkaufen. Mit solchen rosigen Reiseaussichten möchte Neil Kinnock auch mal gerne in Urlaub fahren.