Indiens Weltraumpläne gehen baden

■ Der Absturz der Trägerrakete ASLV ist ein schwerer Rückschlag für die Forscher / 2,5 Mrd. DM wurden schon in die Satelliten– und Raketenforschung gesteckt / Zahlreiche Pannen verzögern das Programm / Kritiker betonen die Möglichkeiten militärischer Nutzung

Von Uwe Hoering

Nach einem Bilderbuchstart ist am Dienstag der erste Flug einer neuentwickelten indischen Weltraumrakete mißglückt. Etwa 52 Sekunden nach dem Abheben vor dem Gelände auf der dem südlichen Unionsstaat Andhra Pradesh vorgelagerten Insel Sriharikota versagte die Rakete, die einen 150 Kilogramm schweren Forschungssatelliten in den Weltraum bringen sollte. Der Absturz ist ein schwerer Rückschlag für die indischen Weltraumpläne. Die kühnen Hoffnungen Indiens, bis Mitte der 90er Jahre zur eigenständigen Weltraummacht aufzusteigen, geraten damit durcheinander. Die Rakete ASLV, deren Prototyp aus der Rolle fiel, soll einmal das „Arbeitspferd“ im indischen Weltraum–Programm werden. Sie ist bereits die zweite Generation von in Indien gebauten Trägerraketen. Mit dem Start ihrer Vorgängerin, der SLV–3, vom Testgelände Sriharikota im südindischen Tamil Nadu, hatte Indien im Juli 1980 die Eintrittskarte in den exklusiven Club der weltraumfahrenden Länder gelöst. Eigene Satelliten Welche Macht von der Verfügung eigener Beobachtungsstationen im Weltall ausgeht, hat Indien mehr als einmal erfahren. So weiß die US–amerikanische Administration meist besser über Ernteaussichten auf dem Subkontinent Bescheid als die indische Regierung, ein Wissen, das sie zu ihrem wirtschaftlichen und politischen Vorteil verwenden konnte. Genauere Wettervorhersagen zum Nutzen der Landwirtschaft, die Suche nach Bodenschätzen, Ernteprognosen, schnellere Hilfe bei Naturkatastrophen - die Begründungen, warum Indien nicht auf eine Präsenz im Weltall verzichten will, sind zahlreich. Doch Satelliten und die Transportmittel dafür hatten zunächst nur die alten Weltraummächte. Die ersten indischen Satelliten wurden denn auch von sowjetischen und amerikanischen Trägerraketen ins All gebracht, gelegentlich auch von der Europa–Rakete Ariane. Um endlich selbständig nach den Sternen greifen zu können, griffen die Inder erstmal tief in die Staatskasse. Bislang wurden min destens 2,5 Milliarden Mark für die Entwicklung von Satelliten, Trägerraketen und Beobachtungsstationen ausgegeben, bis 1990 wird eine weitere Milliarde folgen. Das Programm sieht drei Generationen von Trägerraketen vor, von denen jede größer, stärker, zielgenauer und moderner als die vorhergehende sein soll: die ASLV, deren Prototyp jetzt in den Golf von Bengalen stürzte, die PSLV, die remote–sensing–Satelliten auf eine Pol–Route bringen soll, und schließlich die GSLV, die in den 90er Jahren Kommunikationssatelliten auf eine geostatische Umlaufbahn hieven soll. Parallel dazu werden verschiedene Satelliten entwickelt. Ihre Krönung soll der indische Kommunikationssatellit INSAT II sein, doppelt so leistungsfähig wie der heute diensttuende INSAT 1 B, der, gemeinsam mit zwei Schwester–Exemplaren, den USA für rund 500 Millionen Mark abgekauft und 1983 mit Hilfe der NASA über dem indischen Sub– kontinent „aufgehängt“ wurde. Zahlreiche Fehlschläge INSAT 1 B ist ohne Frage eines der zugkräftigsten Argumente der indischen Himmelsstürmer. Er ermögliche eine Kommunika tions–Revolution, die es bald geschafft haben wird, auch das letzte indische Dorf an das nationale Fernsehnetz anzuschließen. Der indische Anteil an diesem Erfolg ist allerdings bescheiden, ebenso wie an dem spektakulären Ereignis des ersten Inders im All - Rakesh Sharma flog 1984 an Bord einer sowjetischen Sojus mit. Serie von Fehlschlägen Aus eigener Werkstatt stammen inzwischen einige kleinere Satelliten und die Trägerrakete SLV 3, die mehr schlecht als recht ihre Einsatztauglichkeit bewiesen hat. Dem steht eine eindrucksvolle Serie von Fehlschlägen gegenüber, Fehlstarts der SLV 3, Satelliten, die bereits nach wenigen Tagen im All den Geist aufgaben, Verzögerungen bei der Entwicklung neuer Technologien. Mühsam muß der Vorsitzende der Weltraumbehörde, Professor U. R. Rao, nun hohe Erwartungen und Hoffnungen zügeln: „Wir haben unseren Wissenschaftlern nahezu unerfüllbare Zeitpläne vorgesetzt. Wenn wir mal ein paar Monate dahinter zurückbleiben, gibt es gleich große Aufregung.“und Weltall legen dem ambitionierten Programm immer wieder Steine in den Weg. Erdverbundene Bauern im ostindischen Orissa wehren sich seit zwei Jahren gegen den Bau eines Testgeländes, das sich die Visionäre im Programm bereits als einen indischen Weltraumbahnhof a la Cape Canaveral ausmalen. Startrampen für Atomraketen? Während die Bauern von Balasore ihre fruchtbaren Felder gegen Startrampen und Raketen verteidigen, werden Kritiker des Weltraumprogramms durch die geplante Nutzungsgemeinschaft des Testgeländes für militärische und zivile Raketentests in ihrer Ablehnung bestärkt. Bereits der Start der SLV 3 löste Überlegungen aus, daß damit der Schritt zu Mittelstreckenraketen, ausgestattet mit atomaren Sprengköpfen, nicht mehr groß ist. Offiziell wird stets die rein zivile Nutzung beteuert, doch Indiens Militärs wären keine Militärs, würden sie nicht den Wunsch nach Spionage–Satelliten oder Mittelstreckenraketen hegen. Die Kritiker bleiben angesichts des Nutzens, den die Raumfahrtenthusiasten versprechen, in der Minderheit.