Schuldenkrise: Wie wirkt der Schock?

■ Nach dem brasilianischen Schuldenmoratorium sind führende US–Banken auf einen harten Kurs eingeschwenkt / Gleichzeitig warnt die Weltbank vor einem Zusammenbruch des Schuldendienstes, wenn die Banken nicht mehr Neukredite geben / Diskussion über Alternativen zum herrschenden Schuldenmanagement

Von Gabriela Simon

Hat Bundespräsident Richard von Weizsäcker die Zeichen der Zeit mißverstanden? Oder sind die versöhnlichen Töne, die er während seiner Lateinamerika–Reise gegenüber dem brasilianischen Präsidenten anschlug, eher Zeugnis eines staatsmännischen Weitblicks, wie er den Vertretern der internationalen Banken nun einmal nicht gegeben ist? Daß Weizsäcker sein Reiseprogramm kurzfristig um einen Besuch beim brasilianischen Präsidenten Sarney erweiterte und dort nicht nur Verständnis für die probleme des Schuldnerlandes zeigte, sondern auch noch die Gläubiger für die gegenwärtige Krise mitverantwortlich machte, wurde von den führenden internationalen Banken mit einigem Befremden registriert. Für sie stehen die Zeichen - zumindest was die brasilianische Regierung betrifft - auf Konfrontation. Seit Sarney am 20. Februar verkündet hat, den größten Teil der Zinszahlungen an die ausländischen Gläubiger bis auf weiteres einzustellen, versuchen die betroffenen Banken, den Schaden durch eine Isolierungsstrategie gegenüber Brasilien zu begrenzen. Ohne Abkommen mit dem IWF, so verlautet es aus US–Bankenkreisen, wird es keine Umschuldung für Brasilien geben. Die brasilianische Regierung dagegen lehnt es kategorisch ab, sich einem Auflagenprogramm des IWF und der damit verbundenen harten Sparpolitik zu unterwerfen. Nach außen hin geben sich die betroffenen Banken zur Zeit lässig. Schon wenige Tage nach der Verkündung des Brasilien–Moratoriums wurde in den internationalen Finanzzentren Entwarnung gegeben. Das internationale Banksystem - so wird allenthalben signalisiert - sei nicht gefährdet. Dem widerspricht nicht, wenn die Bank of America vor kurzem angekündigt hat, einen Teil ihrer Brasilien–Kredite als „notleidend“ einzustufen. Die Zinsen dürfen dann nur noch als Gewinne verbucht werden, wenn sie wirklich gezahlt werden. Die mit 2,7 Milliarden Dollar in Brasilien engagierte Bank bereitet sich damit auf eine langandauernde Auseinandersetzung vor, und macht sich gleichzeitig weniger erpreßbar. Normalerweise müssen die Kredite erst dann als notleidend eingestuft werden, wenn länger als 90 Tage keine Zinsen bezahlt wurden. Hinter den Kulissen waren die Reaktionen auf das Moratorium wesentlich hektischer. Insbesondere einige große US–Banken waren alarmiert. Bei der New Yorker Citybank beispielsweise, einer der größten US–Banken, wird der Beitrag der brasilianischen Zinszahlungen zum Jahresgewinn auf 18 Prozent geschätzt; 19 Prozent sind es bei der Chase Manhattan, bei Manufacturers Hannover 22 Prozent. Die akute Gefährdung dieser Banken ging jedoch weniger von dem brasilianischen Moratorium selbst aus als von der kurzfristig bestehenden Möglichkeit einer Solidarisierung weiterer lateinamerikanischer Großschuldner. Das mußte um jeden Preis verhindert werden. Zweifelhafte Erfolge Die brasilianische Aktion wurde so binnen weniger Tage zum Erfolg. Zum Erfolg nicht für die Brasilianer, sondern für einige ihrer lateinamerikanischen Nachbarn. Das Banker–Trauma von einem kollektiven Schuldnerstreik blieb den Gläubigern denn auch fürs erste erspart. Lediglich Ecuador hat seinen - schon vor dem Brasilien–Moratorium angekündigten - Zahlungsstopp nun offiziell besiegelt. Und Ecuador ist mit einem Schuldendienst von 800 Mio. Dollar jährlich für die Banken ein kleiner Fisch, dessen Verlust problemlos zu verkraften ist. Verblüffend war vor allem die ungewohnte Schnelligkeit, mit der die Banker auf die direkte Drohung aus Argentinien, sowie die indirekte - aber dennoch unmißverständliche - Forderung nach mehr „Flexibilität“ der Banken von seiten Venezuelas reagierten. Argentinien bekam von den Gläubigerstaaten gänzlich unerwartet einen Überbrückungskredit in Höhe von 500 Mio. Dollar. Venezuela und Chile wurden nachträgliche Zugeständnisse für ihre im vergangenen Jahr unterzeichneten Umschuldungsabkommen gewährt. Was die beiden Länder monatelang erfolglos gefordert hatten, wurde nach dem Brasilien– Moratorium binnen einer Woche Realität: eine Senkung der Zinsrate, in beiden Fällen um einige Zehntel Prozent; 0,25 Prozent für Venezuela, und für Chile 0,4 Prozent und ein günstigerer Zahlungsmodus. Chile wird dadurch in den kommenden zwei Jahren um 450 Mio. Dollar entlastet, eine Summe, die knapp 15 Prozent seiner jährlichen Importe entspricht. Signalisieren die Abkommen mit Chile und Venezuela nun eine prinzipiell größere Konzessionsbereitschaft der Banken? Die Botschaft geht eher in eine andere Richtung. Denn in beiden Fällen handelt es sich um traditionell bevorzugte Schuldnerländer. Venezuela konnte als treuer Zinszahler und bedeutender Ölexporteur schon seit längerem Vorzugskonditionen genießen. Und Chile gehört ebenfalls zu den Lieblingsschülern der Banken. Hier ist es - wie der Europa–Direktor der Weltbank, Rainer Steckhan, es ausdrückt - die „gradlinige Wirtschaftspolitik“, die dem Land die Sympathien der Gläubiger sichert; im Klartext: das Festhalten der chilenischen Militärs an der vom IWF und den Banken favorisierten monetaristischen Verelendungspolitik. Solche ideologische Treue wird belohnt. Gegenüber Brasilien haben sich derweil die Fronten verhärtet. Führende US– Banken haben sich auf eine langfristige Konfrontation eingestellt. Weltbank warnt vor Schuldenkollaps „Der Countdown der Schuldenkrise kann 1988 zu Ende gehen“, hatte Fidel Castro Anfang 1985 prophezeit. Mit der Erkenntnis, daß die unerträgliche Schuldenbelastung in den globalen Ruin führen kann, war er nicht der einzige geblieben. „Das Risiko eines Zusammenbruchs des Schuldendienstes wächst“, falls nicht erheblich mehr Neukredite als bisher für die Dritte Welt mobilisiert werden - warnt nun auch die Weltbank in ihrem kürzlich vorgelegten, aber schon einige Wochen vor dem Brasilien–Moratorium verfaßten Weltschuldenbericht. Daß eine Institution wie die Weltbank zu solch herben Schlußfolgerungen gelangt, ist allerdings ungewöhnlich. Die Weltbank vertritt weder die Positionen der Schuldnerländer noch gehört sie zu den gewohnheitsmäßigen Zusammenbruchspropheten. Ihre Sorge gilt der Gefährdung des internationalen Finanzsystems durch die Banken selbst, die - wie die Weltbank–Experten feststellen - nur dann noch zur Vergabe neuer Kredite bereit sind, „wenn sie mit einem drohenden Kollaps eines Großschuldners konfrontiert sind“. Nun ist es gerade die harte Linie der Gläubiger, ihrer Weigerung, die Schulden teilweise abzuschreiben und deutliche Zinsnachlässe zu gewähren, die dazu führt, daß die Schuldnerländer immer mehr neue Kredite benötigen, um den Schuldendienst leisten zu können. In den beiden mit Chile und Venezuela eiligst vereinbarten Abkommen kam dieses Problem nicht zum Tragen, weil es dabei um neue Kredite gar nicht ging. Anders in den nun laufenden Umschuldungsverhandlungen mit den drei Großschuldnern Brasilien, Argentinien und den Philippinen: Hier wird neues Geld, „fresh money“ benötigt, um den Schuldendienst bezahlen zu können. Die Forderungen liegen bei 2,2 Mrd. für Argentinien, sechs Milliarden für Brasilien und ebenfalls mehreren Milliarden für die Philippinen. Insgesamt müßten die Banken also allein für diese drei Länder mehr als zehn Milliarden „fresh money“ locker machen. Dazu kommt noch eine Vielzahl kleinerer Schuldnerländer von Ecuador bis zum Sudan, deren Bedarf an Neukrediten insgesamt ebenfalls in die Milliarden geht. Die privaten Gläubigerbanken sind angesichts dieses massiven Kapitalbedarfs offentichtlich überfordert. Ihre „Neuausleihungen“ an die Schuldnerländer gingen in den vergangenen Jahren laufend zurück. Sie sanken - laut Weltbank - von 36 Mrd. 1982 auf knapp über zehn Milliarden 1986. Von diesen gut zehn Milliarden im vorigen Jahr gingen aber 7,7 Mrd. an ein einziges Land: Mexiko. Und auch dieser Kredit war ein „Zwangs–Kredit“; die Verhandlungen darüber kamen erst zustande, nachdem die mexikanische Regierung im Sommer letzten Jahres - als Reaktion auf den Absturz des Erdölpreises - offen mit der Zahlungsunfähigkeit gedroht hatte. Über 400 Banken waren notwendig, um die Rettungsaktion für Mexiko zu finanzieren; und trotz der prekären Lage des Landes dauerte es zehn Monate, bis alle diese Banken unter dem massiven Druck der US–Regierung ihren Widerstand gegen den neuen Kredit aufgegeben hatten. Erst vor wenigen Tagen, am 20. März, war das Abkommen, das schon im letzten September vereinbart worden war, schließlich unterschriftsreif. Baker–Plan gescheitert Die gängige Form des Schuldenmanagements ist inzwischen für alle Beteiligten zum Alptraum geworden. Für die Schuldner, weil mit jeder Umschuldungsaktion der Schuldenberg, und damit die Abhängigkeit von den Gläubigern wächst; weil sich ihre „Kreditwürdigkeit“ nach nunmehr fünf Jahren schrumpfender Importe, sinkender Löhne und rigoroser Sparpolitik nicht verbessert, sondern verschlechtert hat; weil der Anteil der Zinszahlungen an den Exporterlösen trotz gesunkener Zinssätze nicht zurückgegangen ist (er liegt in Lateinamerika bei 35 Prozent); und weil der Absturz der Preise ihrer Exportgüter auf einen historischen Tiefstand jede Hoffnung auf außenwirtschaftliche Erfolge zunichte macht. Für die Gläubiger, weil sie, um den Schein der Bezahlbarkeit des Schuldendienstes aufrechtzuerhalten, immer mehr neue Kredite an immer weniger attraktive Schuldner vergeben müssen. Die Banken sind durch die gängige Umschuldungspraxis zu Gefangenen ihrer früheren Expansionspolitik geworden. Sie werden, wie Werner Blessing, ein Vorstandsmitglied der Deutschen Bank, es ausdrückt, „durch immer neue Zwangsumlagen für Neuausleihungen von der Vergangenheit eingeholt“. Vor diesem Hintergrund mußte sich der Plan des US–Finanzministers Baker, innerhalb von drei Jahren 30 Mrd. Dollar zusätzlich für die Schuldnerländer zu mobilisieren, als Flop erweisen. Im Rahmen des Ende 1985 vorgelegten „Baker–Plans“ sollten die Banken durch spezielle Programme der Weltbank zu vermehrter Kreditvergabe in die Dritte Welt angeregt werden. Aber trotz vielfältiger Anreize durch die Weltbank setzte sich die rückläufige Tendenz der Neukredite ungebrochen fort. Als einziger „Erfolg“ des Baker–Plans gilt das neue Kredit–Paket für Mexiko. Über 7 Mrd. Dollar für einen einzigen Schuldner sind in der Tat eine beträchtliche Summe. Aber im Rahmen insgesamt schrumpfender Neuauslei hungen bringt dieser „Erfolg“ nichts anderes als die Konzentration der Bankkredite auf vom IWF und der Weltbank gesponserte Großschuldner. In demselben Maße, wie sich die Neukredite verringern, wächst der „Nettokapitaltransfer“ aus den Schuldnern– in die Gläubigerländer, also der Teil des Schuldendienstes, der nicht durch neue Kredite gedeckt wird. Knapp 30 Mrd. Dollar pro Jahr sind es inzwischen, mit denen die Dritte Welt die Profite der Banken in den Industrieländern mitfinanzieren muß - eine Belastung, die (spätestens seit dem Brasilien–Moratorium) in zunehmendem Maße auch für die Gläubiger zum Sprengsatz wird. Entschulden statt Umschulden Seit dem offensichtlichen Scheitern des Baker–Plans und erst recht nach dem Schock des brasilianischen Moratoriums, hat sich die Diskussion über alternative Formen des Schuldenmanagements verstärkt. In den USA wurden in den vergangenen Wochen von seiten der Demokraten zahlreiche Gesetzesentwürfe eingebracht, die sich vor allem in einem vom „Baker–Plan“ unterscheiden: Statt zusätzliche Kredite zu mobilisieren, sollen die Schuldnerländer entlastet werden; entschulden statt umschulden ist das Alternativ–Konzept. Die Initiative des demokratischen Senators Bill Bradley beispielsweise sieht vor, daß die Zinssätze um 3 Prozent gesenkt und die Schulden um jährlich 3 Prozent abgeschrieben werden müssen. In den nächsten drei Jahren würden die Schuldnerländer dadurch um insgesamt 57 Mrd. Dollar entlastet werden. Natürlich können solche Entlastungskonzepte die verschuldeten Länder nicht aus der Abhängigkeit befreien. Sie sollen den Konflikt entschärfen, indem sie die Ausbeutung der Schuldnerländer durch die Banken auf ein „erträgliches“, d.h. realistisches Maß reduzieren. Dennoch sollte man die Bedeutung solcher Vorschläge für die zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten der Schuldnerländer nicht unterschätzen. Je weniger sie auf den ständigen Zufluß neuer Kredite angewiesen sind, desto weniger sind sie gezwungen, sich ihre wirtschaftspolitischen Prioritäten von Banken und IWF diktieren zu lassen. Konkret: Mit dem von Bradley vorgeschlagenen Entlastungsprogramm wäre Brasilien zur Zeit wahrscheinlich nicht zu Umschuldungsverhandlungen mit den Banken gezwungen und bräuchte sich weder mit ihnen noch mit dem IWF auf ein wirtschaftliches Sparprogramm zu einigen. In der BRD sind es bezeichnenderweise die Banken selbst, in denen vergleichbare Überlegungen laut werden. Alfred Herrhausen etwa, Vorstandssprecher der Deutschen Bank, wirbt schon seit einiger Zeit erfolglos für ein Konzept, die Zinsen für die Schuldnerländer auf einem niedrigen Niveau zu stabilisieren. Und Jürgen Westphalen von der Deutsch–Südamerikanischen Bank präsentierte kürzlich den Vorschlag, einen internationalen Fonds einzurichten, aus dem die verschuldeten Länder Entschädigung für die zu Beginn der 80er Jahre außerordentlich hohen Zinsen bekommen sollen. Nun ist das Engagement der deutschen Banken insgesamt in den Schuldnerländern vergleichsweise gering. Ihr Anteil an den Forderungen gegenüber den 10 am meisten verschuldeten Ländern Lateinamerikas lag nach Berechnungen der Deutschen Bundesbank Ende 1985 bei 14,79 Mrd. Dollar. Dies sind Größenordnungen, an die die New Yorker City Bank schon fast allein herankommt. Im Unterschied zu den US–amerikanischen Banken ist ihr Interesse deshalb nicht auf die Zinseinnahmen aus dem Schuldendienst fixiert. Weit attraktiver ist für die deutschen Banken die Perspektive, den Handel mit den Schuldnerländern wiederzubeleben. Sie können dabei zum einen von dem einträglichen Geschäft mit den Handelskrediten profitieren, zum anderen haben ihre industriellen Kunden hierzulande auch wachsendes Interesse an den Exporten in die Dritte Welt. Der Konfliktkurs, auf den sich führende US–Banken jetzt gegenüber Brasilien begeben haben, wird deshalb von manchen deutschen Bankern mit wachsendem Unbehagen beobachtet. Einiges steht für sie dabei auf dem Spiel. Hinter den versöhnlichen Worten Weizsäckers in Brasilia könnte folglich mehr stecken, als die humanitär wirkende Geste auf den ersten Blick erahnen läßt.