Großblittersdorf, Kleinblittersdorf und der Müll

■ An der saarländischen Grenze demonstrierten 4.000 Menschen gegen die geplante drittgrößte Müllverbrennungsanlage Europas, die in der Nachbarschaft auf französischem Boden entstehen soll / Angst vor Dioxinen und Schwermetallen

Von Rolf Gramm

Kleinblittersdorf(taz) - „Der Jo Leinen, der war ja früher auf jeder Demonstration, heute ist er nicht da, dafür steht er auf allen Transparenten.“ Über 4.000 Demonstranten fanden sich am Samstag nachmittag im saarländischen Grenzort Kleinblittersdorf, zehn Kilometer südlich von Saarbrücken, zusammen. Sie protestieren gegen die in der französischen Nachbargemeinde Großblittersdorf geplante drittgrößte Müllverbrennungsanlage Europas. Der obige Gesprächsfetzen verweist auf die nicht nur lokalpolitische Dimension der Auseinandersetzung. Auf den Transparenten ist zu lesen: „Lafontaine und Leinen, sagt endlich nein“, „Jo auf Tauchstation, warum?“, „Jo, rette die Natur, sag Nein zur Müllausfuhr“, „Kommt zu uns der Dreck, müssen Jo und Oskar weg“. Gegen die Verbrennungsanlage sind alle in dem 12.000–Einwohner–Ort. Der Gemeinderat hat sich einstimmig gegen die Anlage ausgesprochen. Er fordert den Stopp der saarländischen Müllexporte nach Frankreich. Bürgermeister Robert Jeanrond (CDU): „280.000 Tonnen Müll liefert das Saarland derzeit auf drei Deponien nach Lothringen.“ Die, so fürchten die Kleinblittersdorfer, sollen den geplanten Verbrennungsgiganten füttern und profitabel machen. Alle politischen Strömungen im Ort arbeiten in der Anfang März gegründeten „Deutsch– französischen Aktionsgemeinschaft gegen die Müllverbrennungsanlage in Großblittersdorf“ zusammen, die auch die Demonstration organisiert hat. Die örtliche CDU war anfangs gar mit der Drohung von Grenzblockaden an die Öffentlichkeit getreten, wovon sie heute allerdings nichts mehr wissen will. Das schwarz– rot–grüne Bündnis funktioniert, soweit es sich auf die Ablehnung der geplanten Anlage bezieht. Was aber stattdessen mit dem saarländischen Müll passieren soll, ist nach wie vor umstritten. Grüne und BUND sind gegen jede Verbrennung, die CDU tritt für eine Verbrennungsanlage im Saarland ein, und die SPD hält sich die Optionen offen. Rainer Braun, SPD–Fraktionsvorsitzender im Gemeinderat und einer der Sprecher in der Aktions gemeinschaft, erwartet von seiner Landesregierung ein klares Nein zum Standort. „Bislang hat Jo Leinen nur gesagt, daß er gegen eine Verbrennungsanlage in Großblittersdorf ist, wenn dort nach französischen Umweltvorschriften verfahren wird. Was wäre, wenn sich die Franzosen auf die deutschen Bestimmungen verpflichteten, sagt er nicht. Nach Cattenom und nach den schlechten Erfahrungen, die wir bislang mit Absprachen mit den Franzosen gemacht haben, verlassen wir uns aber auf gar nichts mehr“. Auch er ist der Auffassung, daß der Müllexport nach Frankreich gestoppt werden muß. Notfalls „als letzte Möglichkeit“ solle für die Müllverbrennung ein Standort im Saarland gefunden werden. Der Demonstrationszug, an dem sich auch etwa 500 Franzosen beteiligten, führte über die französische Grenze vorbei am Großblittersdorfer Kohlekraftwerk. Am Freitag ist es nach 33 Betriebsjahren offiziell stillgelegt worden. Die Kraftwerksanlage soll jetzt zum künftigen Müllverbrennungsbetrieb umgerüstet werden. Das deutsch–französische Ehepaar Incardona, er Franzose und Lehrer in Frankreich, sie Kleinblittersdorfer Lehrerin, erklären in einer zweisprachigen Kundgebungsrede die Gründe für die Ablehnung der Anlage: „Wegen Luftbelastung in unserer Region hat man jetzt schon älteren Leuten und Asthma–Kranken geraten, wegzuziehen.“ Die französische Betreibergesellschaft ESYS wolle hier nur ihren Profit machen. Und niemand könne garantieren, daß in der Anlage nicht auch Industrie– und Sondermüll verbrannt werden soll. „Wir wollen hier keine Dioxine und Schwermetalle in Luft und Boden.“ „Da, sehen sie doch hoch“. Eine Demonstrantin deutet zur Bestätigung auf die riesige Anlage des Großblittersdorfer Kohlekraftwerks. Der Koloß ist im Tal von überall zu sehen. „Was denken Sie, was die uns damit zeigen wollen? 30 Jahre lang haben wir gegen die Dreckschleuder gekämpft. Alle haben sich gefreut, daß gestern offiziell die letzte Stunde für den Stinker gekommen war. Heute machen sie entgegen allen Absprachen weiter. Die zeigen uns damit: Ihr könnt demonstrieren, aber wir machen, was wir wollen.“