Ein Kampf für Lohn zum Überleben

■ Südafrikas Gewerkschaften gegen Apartheid und Kapitalismus / Aus Johannesburg Hans Brandt

Mit einer großangelegten Kampagne wollen die südafrikanischen Gewerkschaften auf die enge Verbindung zwischen Apartheid und kapitalistischem System in Südafrika hinweisen. Heraufsetzung des Mindestlohns, die 40–Stunden–Woche ohne Lohneinbußen und die Abschaffung von automatischen Steuerabzügen und des Systems der Wanderarbeit sind ihre Hauptforderungen. Die Regierung hat die am Sonntag in Soweto geplante Großkundgebung, die die Kampagne einleiten sollte, verboten.

„Vereinigt Euch und kämpft für den Überlebenslohn (living wage)“ - unter diesem Motto will der Kongreß südafrikanischer Gewerkschaften (COSATU) in diesem Jahr das „kapitalistische System in Südafrika grundsätzlich herausfordern“. Die Regierung nimmt das offensichtlich ernst. Sie verbot die für Sonntag in Soweto geplante Großkundgebung, weil sie einen Angriff auf das kapitalistische System bedeute. In anderen Teilen des Landes fanden dennoch Kundgebungen und Versammlungen statt. Die Kampagne soll die Einheit der Gewerkschaften stärken, neue Mitglieder gewinnen und die Bevölkerung mobilisieren. Dabei will COSATU eng mit anderen außerparlamentarischen Oppositionsgruppen zusammenarbeiten. Neben der Heraufsetzung des Mindestlohns fordert die Kampagne unter anderem eine 40–Stunden–Woche ohne Lohneinbußen, die Abschaffung von Steuerabzügen und ein Ende des Systems der Wanderarbeit. Die Steuern werden den Arbeitern und Angestellten in Südafrika wie bei uns automatisch vom Lohn abgezogen und an den Staat weitergeleitet. Die Gewerkschaften wollen dieses System jetzt verändern, weil es einen Steuerboykott, der als wirkungsvolle Waffe gegen das Apartheidregime gesehen wird, unmöglich macht. Die Unternehmer werden sich allerdings hüten, dieser Forderung der Gewerkschaft nachzugeben, weil sie sich dadurch strafbar machen würden. Mit der Kampagne wollen die Gewerkschaften die enge Verbindung zwischen der Apartheid und dem „ausbeuterischen kapitalistischen System“ verdeutlichen. COSATU weist darauf hin, daß sieben multinationale Monopolunternehmen 88,5 Prozent aller Aktien an der Johannesburger Börse kontrollieren. Und während diese Monopole 1986 Profite um die 30 Prozent erzielen konnten (bei einer Inflationsrate von 16 Prozent), lagen die Lohnerhöhungen der Arbeiter bei nur elf Prozent. Die Apartheid, so COSATU, liefert den Unternehmern „äußerst billige, leicht auszubeutende und scharf kontrollierte Arbeitskräfte“. Die Forderung nach einem Mindestlohn richtet sich daher nicht nur gegen die Profite der Unternehmen, sondern auch gegen das Apartheid–System. Allerdings ist für den geforderten Mindestlohn keine allgemeine Zahl festgesetzt worden. COSATU–Sprecher begründen dies mit der Tatsache, daß es große Unterschiede im Lohnniveau der verschiedenen Industriesektoren gibt. Ein feste Zahl könnte daher für einige Sektoren viel zu hoch angesetzt sein, für andere schon unter dem derzeitigen Lohn liegen. Tatsächlich ist es schwer, einen allgemeingültigen Maßstab zu finden. Die Unternehmer benutzen oft das von der Universität Port Elizabeth regelmäßig festgesetzte Existenzminimum für eine sechsköpfige Familie, das im September 1986 bei 360 Mark lag. Damit ist jedoch nur knapp die Existenz gesichert. Bescheiden leben kann eine solche Familie vielleicht mit 540 Mark. Im Vergleich: Schwarze Arbeiter in der verarbeitenden Industrie verdienten 1986 durchschnittlich etwa 460 Mark, im Bergbau etwa 350 Mark. Am schlechtesten bezahlt sind jedoch noch immer Hausangestellte und Farmarbeiter. Sie erhalten etwa 90 Mark im Monat. Trotz dieser großen Lohnunterschiede kritisieren einige Gewerkschafter die Tatsache, daß kein konkreter Mindestlohn gefordert wird. Sie sind der Meinung, daß die Kampagne deshalb an Attraktivität verliert. „Was würde zum Beispiel eine Hausangestellte sagen, wenn sie von unserer Forderung nach 400 Mark liest?“ fragen diese Kritiker. Bei der Werbung neuer Mitglieder durch die Kampagne hat es COSATU nicht nur auf unorganisierte Arbeiter abgesehen. Nach dem Zusammenbruch des gemäßigten, regierungsnahen Gewerkschaftsrates von Südafrika (TUCSA) im vergangenen Jahr sind mehrere Einzelgewerkschaften ohne Dachverband. Um das Ziel der „Einheit der Arbeiterklasse“ zu erreichen, sollen auch deren Arbeiter angesprochen werden.