Demo für Daimler in Boxberg

■ Die Befürworter des seit zehn Jahren heftig umkämpften Teststreckenprojekts des Stuttgarter Konzerns formieren sich / Landesregierung soll „Lex Boxberg“ beschließen, um Arbeitsplätze zu schaffen

Aus Boxberg Dietrich Willier

Das hat Badisch Sibirien, die Gegend um das zehn Jahre umkämpfte Teststreckenprojekt des Stuttgarter Rüstungs– und Autokonzerns Daimler Benz, das hat die 6.000–Seelengemeinde Boxberg noch nicht erlebt. 2.000 Menschen, ein Drittel aller Bewohner, gingen am Sonntag nachmittag auf die Straße, um mit einer Demonstration und Kundgebung gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu protestieren. Das Karlsruher Urteil, so die einhellige Meinung, sei ein politisches, die baden–württembergische Landesregierung sei aufgefordert, ein Sondergesetz, eine „Lex Boxberg“ zu schaffen, um den Bau der Daimler–Teststrecke doch noch durchzusetzen. „Heimaterde“, so wird auf einem Transparent geklagt, „du wirst spätere Generationen nicht mehr ernähren.“ Dann wird es still vor dem Boxberger Rathaus. Die örtlich Blaskapelle spielt einen Trauermarsch, ein paar junge Männer tragen auf ihren Schultern einen Sarg, Aufschrift: „Arbeitsplätze in Boxberg“. Andächtig formiert sich ein langer Demonstrationsmarsch hinter den Boxberger Honoratioren. Sollte die Entscheidung der Karlsruher Richter die letzte gewesen sein, sollte eine „Lex Boxberg“ ebenfalls scheitern, sollte die Daimler–Teststrecke, wie erwogen, sogar ins Ausland verlegt werden, so heißt es nach der Kundgebung in einer Boxberger Wirtschaft, dann ginge der Streit erst richtig los. „Die Mehrheit der widerständischen Bundschuhbauern“, so Boxbergs Bürgermeister Zipperle, bewirtschafte gepachtetes Land. Wenn ihnen das von den Pächtern entzogen werde, stünden sie vor dem wirtschaftlichen Ruin. Das klingt wie eine Kriegserklärung. Vor dem Gemeindezentrum, dort wo Bundschuhbauern vor acht Jahren mit ihrem Protest eine Gemeinderatssitzung sprengten, sollte jetzt die Kundgebung stattfinden. Der hauptsächliche Gegner war für die Kundgebungsredner - Bauern, Arbeiter aus Daimler–Zulieferbetrieben, Jugendliche und Parteiensprecher - schnell ausgemacht: die baden–württembergischen Grünen. Sie, sagt man, hätten jetzt das Wohl der ganzen Gegend auf dem Gewissen. Die Bundschuhbauern als Kläger seien nur das Werkzeug der Politstrategen der Grünen gewesen, die nicht nur das gesamte Wirtschaftssystem, sondern Recht und Ordnung im Staate zerstören wollten. Eine Boxbergerin mit sächsischem Akzent fordert Grüne und Bundschuhbauern auf, nach „Russisch Sibirien“ zu gehen und die Finger von Badisch Sibirien zu lassen. Sieben Jahre, so berichtet ein Arbeiter, sei man in der Hoffnung auf hiesige Arbeitsplätze nach Stuttgart gefahren. Am Biertisch wird man deutlicher: „Hätten die im letzten Weltkrieg doch besser gezielt.“ Gemeint sind die Bundschuhbauern und Kriegsteilnehmer Hoffmann und Hahn auf den Aussiedlerhöfen.