Giftskandal in China

■ Erst jetzt kommt durch Presseberichte das Ausmaß des schwersten chinesischen Chemieunfalls Anfang Januar ans Tageslicht / Zigtausende tranken vergiftetes Trinkwasser / Ein Monatslohn Strafe für Manager

Aus Peking Jürgen Kremb

Bodenloser Leichtsinn war offenbar die Ursache des bislang schwersten Chemieunfalls in der VR China, der sich Anfang Januar in der nördlichen Shanxi–Provinz ereignete. Wie erst jetzt bekannt wurde, erkrankten in den ersten Tagen des Jahres über 15.000 Menschen, nachdem sie vergiftetes Trinkwasser aus dem Nanzhang–Fluß zu sich genommen hatten. Durchfall, Übelkeit sowie Kopf– und Bauchschmerzen waren weit verbreitet, bei 81 Menschen traten schwere Vergiftungserscheinungen auf, die jedoch in keinem Fall zum Tode führten. Diese bislang nicht bekannten Informationen wurden Anfang letzter Woche erstmals in verschiedenen chinesischen Zeitschriften, darunter der englischsprachigen China Daily und der Chinesichen Umweltzeitung veröffentlicht. „Wer sich in diesen Tagen wusch“, hieß es beispielsweise in der Umweltzeitung unter Berufufng auf Informationen aus dem staatlichen Wasserschutzbüro, „bekam Ausschläge am ganzen Körper.“ In zahlreichen Fällen sei es nach einem Bad im Fluß (der für rund 30.000 Menschen als Trinkwasserreservoir dient) zu Hautverätzungen gekommen. In einer Kinderkrippe seien bei 200 Kindern Vergiftungserscheinungen diagnostiziert worden. Das Unglück wurde von einer Düngemittelfabrik am Oberlauf des Nanzhang–Flusses verursacht. Arbeiter hatten dort am 4. Januar ohne Sicherheitsvorkehrungen Reparaturen an einer Maschine vorgenommen, wobei offenbar mehr als 17 qm giftige Stoffe in den Fluß gelangten. Nach China Daily handelte es sich um hochkonzentriertes Aminonitrogen, Zyanid und Sulfid. Anstatt das lokale Wasserwerk zu benachrichtigen, versuchten die verantwortlichen Kader, den Vorfall zu vertuschen. Noch drei Tage lang wurden hochgiftige Abwässer aus der Fabrik in den Fluß eingeleitet. Die Lokalverwaltung wurde erst durch ein gewaltiges Fischsterben auf das Leck in der Giftküche aufmerksam und schloß den Betrieb. Zu diesem Zeitpunkt hatten aber bereits 23.000 Anwohner von dem hochgiftigen Flusswasser getrunken. Die gemessenen Werte lagen teilweise über dem 337fachen der in China zulässigen Werte. Die Fabrik war in der Vergangenheit bereits mehrfach unangenehm aufgefallen. Der Betrieb hatte sich über zehn Jahre lang der Aufforderung der Behörden nach besserer Klärung der Abwässer widersetzt. 65.000 DM, die dem Werk zu diesem Zweck aus öffentlichen Mitteln zur Verfügung gestellt wurden, versickerten in dunklen Kanälen. „Laßt es uns eine Lehre sein, daß es Fortschritt nicht ohne angemessenen Umweltschutz geben kann“, schrieb dazu die Umweltzeitung. Die Fabrik hätte nie an diesem Standort genehmigt werden dürfen, im ganzen Land gebe es noch zahlreiche ähnliche Fälle. Doch trotz der scharfen Angriffe d Verantwortlichen) rund 100 DM Strafe zahlen, was einem Monatslohn entspricht. Der Betrieb als ganzes muß umgerechnet 15.000 Mark Strafe zahlen.