Lalü lala - Haltet den Terroristen!

■ Nach der Ermordung des SDI–Experten, General Giorgieri, machen italienische Carabinieri und Geheimagenten die Straßen Roms unsicher / Leider wars nur ein Gangster / Der Untergrund streitet sich um die Täterschaft am Giorgieri–Mord

Aus Rom Werner Raith

Das alte Mütterchen ist kein bißchen dankbar, als ihr zwei feldgraue Bereitschaftspolizisten mit Panzerweste und MP unterm Arm an Roms Piazza della Repubblica über die Straße helfen. „Trollt euch und fangt gefälligst diese Teufel, damit wir wieder Ruhe haben“, zischt die Frau, „ich komm schon alleine rüber.“ Die beiden Ordnungshüter verziehen sich klaglos zu ihrem Mannschaftswagen - einem von sechs Omnibussen, die entlang der Via Terme di Diocleziano geparkt sind und aus denen kurz zuvor an die 150 Bewaffnete herausgehüpft waren, die nun im Bahnhofsviertel zu umfänglichen Razzien ausschwärmen. Der Mißmut des Mütterchens ist verständlich: Kurz zuvor war sie mit knapper Not einer Eskorte entkommen, die da an ihr vorbeigereist war - volle zehn blauweiße Alfettas, allesamt mit Sirenengeheul und Martinshorn. Wen oder was sie eskortieren, ist zunächst unklar; ich bemerke es nur per Zufall, als ich zwanzig Minuten später auf dem Weg zum Sitz der Ausländerpresse am Zentralpostamt vorbeigehe: Da kommen sie wieder daher, durchpreschen die engen Gassen der Via della Mercede und blockieren alle Zugänge zur Hinterfront des Telegrafenamtes. Eine weitere Viertelstunde, dann kommt er, der „Furgone“, der Kleinlaster mit dem vielen Geld. Einer wie der, dem ein zehnköpfiges Kommando vor vier Wochen im Südwesten der Stadt umgerechnet eineinviertel Millionen DM geraubt und dabei die aus nur zwei Beamten bestehende Eskorte ermordet hat. Rom im Terroristenfieber: Seit am Wochenende der technische Leiter der SDI–Beteiligungsunternehmen, General Giorgieri, von einem vorbeifahrenden Motorrad aus erschossen wurde, schützen Italiens Polizisten, Carabinieri und Geheimagenten rund um die Uhr alles und jeden, der auch nur entfernt gefährdet erscheint. Fast der gesamte Polizeikörper ist derzeit im Einsatz; Verkehrsregelungen sind in vielen Städten provisorischen Hilfspolizisten übertragen worden, die nicht einmal eine Armbinde „V.U.“ (Vigili urbani) tragen. Ein Polizeiaufmarsch, wie er nicht einmal 1978 an der Tagesordnung war - und da hatte es innerhalb eines Jahres immerhin mehr als zweitausend meist blutige Anschläge gegeben. Italiens Politiker sind entschlossen, es so weit nicht wieder kommen zu lassen - und so wird auch mancher Reifenknall zum „mutmaßlichen terroristischen Anschlag“. Die Großrazzien am heutigen Tag z.B. gelten einem Pärchen, das vergangene Nacht eine Polizeisperre durchbrochen und dann auf ein verfolgendes Polizeiauto geschossen hat - ein Polizist tot, der andere schwer ver letzt. Das kann nur ein terroristischer Fluchtwagen gewesen sein! Wenig später eine Nachricht, die die ganz auf „Politische“ fixierten Fahnder eher zu beunruhigen als zu besänftigen scheint: Eine junge Frau meldet sich, die der Schütze vorübergehend als Geisel genommen hatte. Es seien keine Terroristen, sagt sie, nur gewöhnliche Räuber, was man ihr zunächst gar nicht glauben wollte. Wenig später wird der Todesschütze festgenommen - es ist „Johnny lo zingaro“, bürgerlich Giuseppe Mastini, seit Jahren bekannter Gangster und mehrfacher Mörder, alles andere als ein „Politischer“. „Ein Mißerfolg“, brummt ein Carabinieri an der Piazza Silvestro, als der Befehl zum Abrücken kommt. Ein Mißerfolg? Natürlich ein Mißerfolg: Jetzt kommt es nicht darauf an, gemeingefährliche Gangster zu fangen, jetzt müssen Terroristen verhaftet werden. Doppelter Mißerfolg: Just zu der Zeit, als Johnny lo zingaro mit erhobenen Händen hinter einem Busch hervortappt, gibt Verteidigungsminister Spadolini im Senat eine eher ärgerliche Erklärung ab: Die seit der Ermordung des Generals Giorgieri von den Offiziellen - vor allem Innenminister Saolafaro - verbreitete Behauptung, es gebe „eine gemeinsame Zentrale des Euroterrorismus mit Sitz außerhalb Italiens, die die Ermordung des SDI–Offiziers angeordnet“ habe, sei nicht haltbar. Der Name Giorgieris sei auch auf keiner Liste der „Action Directe“ zu finden gewesen, wie zuerst verbreitet. Daß das geniale Europa–Management des Terrorismus wohl eher ins Reich der in Italien so gerne gehandelten Verschwörungstheorien gehört, war aufmerksamen Fahndern schon vorher klar - nicht einmal in Italien nämlich scheinen sich derzeit die Untergruppen auf irgendwelche Nenner einigen zu können. Das nach der Ermordung Giorgieris angekündigte „cominucato“ der „Unione comunisti cambattenti“ ist mittlerweile eingetroffen - doch es befaßt sich weniger mit konkreten länderübergreifenden Strategien, sondern erschöpft sich in Polemiken gegen die angeblichen Weichlinge einer Abspaltergruppe namens „Partito comunisti combattenti“, die Etablierte nur verletzen, nicht aber ermorden wollen. Zu allem Überfluß reklamieren am selben Tag auch noch die angeklagten Oldtimer des „Bewaffneten Kampfes“ im Rotbrigadistenprozeß in Rom den Anschlag für sich, wieder mit einer anderen Motivation: Man ziele auf das „Herz des italienischen Staates“. Also weniger auf SDI. Den Polizisten auf Roms Straßen ist längst schon nicht mehr klar, hinter wem sie eigentlich herfahnden. In der Via Cavour z.B. nehmen drei Carabinieri zuerst in aller Ruhe die Personalien zweier halbwüchsiger Burschen auf - um sich erst dann daran zu erinnern, daß man ja Leute fangen soll, die aus der Hüfte schießen. Also wird - zum Abschluß, nicht zu Anfang - noch die Kleidung durchsucht. „Ach was“, sagt mir der Gruppenführer auf meine anzügliche Frage, „das sind doch zwei ganz Harmlose.“ Warum haben Sie sie dann durchsucht? Er schaut mich groß an. „Warum? Na hör mal - dafür machen wir doch die Razzia.“