„Guten Morgen, Mr. Botschafter“

■ Wunderlicher Empfang für führende Labour–Politiker im Weißen Haus / Reagan weiß nicht, wovon er redet, und erzählt Witze / Weinberger findet alles zu teuer

Ein ganz gewöhnlicher Freitag morgen im Weißen Haus. Der Führer der britischen Labour–Party, Neil Kinnock, und sein langgedienter außenpolitischer Experte Denis Healey klopfen an die Tür. Howard Baker, der Reagan–Vormund, begrüßt die beiden. Baker: „Treten Sie schnell ein, meine Herren, wir haben vor der Kongreß–Debatte über das Autobahn–Gesetz gerade noch 18 Minuten Zeit.“ Sie treten in das Oval Office, wo Reagan, Bush, Weinberger und eine Reihe von Gorillas sitzen. Reagan: „Freut mich, Sie zu treffen, Mr Kinnock. Guten Morgen, Herr Botschafter.“ Bakers Stoß in die Präsidentenrippen kommt zu spät. Healey kann sich ob der falschen Anrede gerade noch fangen. Reagan, der endlich seinen Spickzettel gefunden hat: „Wir sind besorgt über die Implikationen Ihrer Verteidigungspläne für die NATO!“ Kinnock, beschwörend: „Wir wollen doch nur eine qualitative Verbesserung der Schlagkraft des Bündnisses, wir rüsten ja stattdessen konventionell auf.“ Reagan, mit Blick auf seine nächste Karteikarte: „Oh, da wollen wir uns selbstverständlich nicht einmischen.“ Weinberger, leicht ungehalten: „Aber konventionelle Waffen sind doch viel teurer als Atomwaffen. In einer Demokratie läßt sich der Verteidigungsetat nicht ungehindert in die Höhe treiben.“ Howard Baker: „Meine Herren, der Präsident hat nur begrenzt Zeit, und er wollte noch eines sagen, nicht wahr, Mr. Reagan!“ Reagan, der irrtümlich bereits seine Zettel eingesteckt hat, improvisiert: „Zwei Sowjetgenerale unterhalten sich. Sagt der eine: Mir hat das Wettrüsten auch viel besser gefallen, als die andere Seite noch nicht mitgemacht hat.“ Die Briten lachen höflich. Reagan hat seinen letzten Zettel wiedergefunden: „Die Russen haben aber SS–20 Raketen.“ Und mit einer ihm selbst fremd klingenden Stimme liest er weiter unten ab: „Wir müssen alle Atomwaffen abschaffen, weil sie unmoralisch sind.“ Kinnock, jubelnd: „Jawohl, deswegen müssen wir ja die konventionelle Lücke schließen.“ Weinberger: „Aber das ist doch viel zu teuer.“ Baker schaltet sich energisch ein: „Jetzt ists aber genug. Das Autobahn–Gesetz, Herr Präsident. Auf Wiedersehen meine Herren.“ Reagan ruft ihnen hinterher: „Schöne Grüße an Maggie“. „Die ist in Moskau, du Depp“, raunt Healey. Reagan: „In Moskau? Was um Teufels willen...“ Gnadenlos schließt sein Vormund die Tür. (Diese Darstellung beruht zum großen Teil auf Berichten Beteiligter über den tatsächlichen Verlauf des Austausches. Reagans Witz ist ebenso real wie die peinlichen Interventionen seines Beraters Howard Baker oder Weinbergers zweimal vorgebrachtes Kostenargument. Rolf Paasch