Kaschmir–Pullover hindern nicht am Denken

■ Das erste jugendpolitische Forum der Grünen in Frankfurt war vor allem für die an Jugendpolitik interessierten Grünen ein Gremium Die Jugend selbst sah eher alt aus und hatte Schwierigkeiten mit der Emanzipation von den Apo–Opas

Aus Frankfurt M. Miersch

„Wer ist denn hier eigentlich unter 25?“ rief der stadtbekannte Zwischenrufer Udo Riechmann in den Saal. Ein Viertel der Anwesenden hob die Hände. Udos Frage machte öffentlich, was viele schon im Stillen ahnten: Die Jugend war beim ersten jugendpolitischen Kongreß der Hessen–Grünen unterrepräsentiert. Dafür waren Berufsjugendliche, Jugendfunktionäre, professionelle Jugendspezialisten und grüne Erststimmenfänger um so besser vertreten. Auf den Gängen und in den Seminarräumen der Frankfurter Fachhochschule versuchten sie am vergangenen Sonntag die Jugend der späten achtziger Jahre zu definieren und zu analysieren. „Gefällt mir gut, diese Jugend“, flüsterte der Sozialarbeiter dem Rechtsanwalt zu, „aber vielleicht ist hier nur das eine Prozent, daß nicht aus Arschlöchern besteht.“ „Das sind schon Jugendliche hier“, beruhigte sich ein anderer Jugendforscher selbst, „die sehen halt nur älter aus, wie wir früher“.Auch Dany Cohn–Bendit sah ziemlich alt aus. Als Moderator eingeladen, versuchte er redlich zu provozieren und Widerstand herauszukitzeln, aber er blieb der 68er Übervater, gegen den man sich nicht so einfach abgrenzen kann, wie gegen einen reaktionären Pauker, der dem Dritten Reich nachtrauert.“Immer wenn wir Türen einrennen wollen“, beklagte sich eine Studentin auf dem Podium, „kommt ein linksliberaler Lehrer oder Dozent und hält sie uns auf.“ „Ich bin trotzdem froh, daß ich heute lebe und nicht damals“, fährt sie fort, „da herrschte so ein Gruppendruck, daß die Leute nur gewagt haben, heimlich zu heiraten.“ Die Rednerin war eine der wenigen, die sich aggressiv gegen die erdrückenden Vorgaben abgrenzte, die heute auf politisch engagierten Jugendlichen lasten. Die meisten jungen Redner auf dem Abschlußplenum bemühten sich zu beteuern, daß auch sie kritisch, engagiert und radikal seien, man solle es ihnen doch nur glauben. Die Kultur der späten sechziger Jahre, formulierte ein Student und Mitorganisator des Kongresses, habe die Gesellschaft durchsetzt und ein Ideal von Politik und Jugendlichkeit geschaffen, daß sich heute als repressiv erweise.Der Muff der vergangenen Revolte sei klebriger, als der tausendjährige, gegen den sie anzukämpfen hatte. Gegen die Doppelmoral der ergrauten Revolutio näre schimpfte auch ein junger Türke: „Sie konsumieren selbst wie wild und werfen uns dann Konsumhaltung vor.“ „Stilvoll aus der Revolte?“ hieß der Kongreß im Untertitel, den eine Handvoll junger Frankfurter Grüner organisiert hatten. Als Motto wählten sie den alten Ian Dury–Schlager: „Sex and drugs and rockn roll“. Sebastian Popp (23): „Wir wollten mal über die ewigen Schul– und Ausbildungsforen hinausgehen. Sex und Drogen sind immer noch Themen, die den Jugendlichen auf den Nägeln brennen, sie werden aber kaum noch öffentlich gemacht. Heute kiffen alle, aber keiner redet mehr darüber.“ Einen grünen Jugendverband wünschen er und seine Freunde sich nicht, jedenfalls nicht im Sinne einer politischen Karriereschule. Aber eine Art Arbeitsforum für die unter 25jährigen würde ihnen gut gefallen. Im grünen Ortsverband Frankfurt ist diese Altersgruppe mit schlappen 35 Mitgliedern vertreten. Noch weniger sind aktiv. Viele sind eben vom Fundi–Realo–Streit angenervt, begründet Sebastian Popp das geringe Interesse seiner Altersgenossen. Den eher spärlichen Besuch des jugendpolitischen Forums sieht er in der hektischen Vorbereitung begründet: „Wir wollten uns erst viel länger Zeit lassen, aber dann haben wir gedacht, im Wahlkampf sitzt der Partei das Geld lockerer und die Referenten sind leichter zu gewinnen.“ An hochkarätigen Referenten hat es wirklich nicht gefehlt; AIDS–kundige Ärzte, prominente Drogenexperten und die Hacker– Kings vom Hamburger Chaos– Computer–Club, alle waren da. Doch führten sie die Diskussionen in den Arbeitsgruppen häufig unter sich. Wenn die Jugendlichen selbst das Wort ergriffen, glänzten sie durch Sachlichkeit, temperierte Vernunft und einen Informationsstand, der den Experten die Kinnlade runterfallen ließ. Eine Jugend von Schwerintellektuellen? Worte wie „Fuck off“ oder „Halts Maul, du Wichser“ waren jedenfalls den ganzen Tag über nicht zu hören. Rupert von Plottnitz, linker Staranwalt und grüner Landtagskandidat, formulierte es so: „Beim Thema AIDS ist es natürlich schwer, revolutionären Elan zu entwickeln“. Manchem aus seiner Generation hat er bestimmt Leid getan, der Jüngling im schwarzen Leder, der in den Saal fragte: „Ist freie Liebe noch verantwortbar, und wenn ja, dann wie?“ Für die an Jugendpolitik interessierten Grünen, war der Kongreß sicher ein Gewinn. Sie konnten lernen, daß Kaschmir–Pullover und Krawatten nicht am kritischen Denken hindern und daß die „unpolitische Jugend“ genauso ein Medienprodukt ist, wie es die „Politische Jugend“ war. Dany Cohn–Bendit: „Das Erscheinungsbild trügt immer. Vor dem letzten Herbst haben die linken Spießer in Frankreich auch über die ach–so–unpolitische Jugend lamentiert.“