Vobo: Noch nie so populär wie heute

■ Boykottbewegung gegen Volkszählung bereitet Endspurt vor / Ein Bericht von Vera Gaserow

Nähme man die bloßen Zahlen der neuesten Meinungsumfrage des EMNID–Instituts, die Chancen für die Volkszählung stünden 50 : 50. Nur die Hälfte der Bundesbürger sind demnach bereit, den Fragebogen auszufüllen, 36 dagegen entschlossen, zu boykottieren. Sollte dieses fifty–fifty–Verhältnis sich nicht noch gravierend ändern, wäre der Volkszählung eine grandiose Niederlage beschieden. In Essen trafen sich am Wochenende Vertreter/innen von Boykottgruppen, um dieser Niederlage nachzuhelfen.

Essen (taz) - Der Taxifahrer am Essener Hauptbahnhof hatte dem Treffen noch „viel Erfolg!“ gewünscht, und am Ort des Geschehens, dem Essener Jugendzentrum „Zeche Carl“, warteten zur selben Zeit schon zwei Kamerateams mit aufgeblendeten Scheinwerfern. Nur die, denen gute Wünsche und Fernsehaufgebot galten, kamen nur spärlich oder sogar gar nicht: Zu einem bundesweiten Koordinationstreffen wollten die inzwischen über 400 Volkszählungsboykottinitiativen am Sonntag im Essener Jugend– und Kulturzentrum zusammenkommen. Doch technische Pannen, viel zu spät verschickte Einladungen und einige, dank Umstellung auf die Sommerzeit verpaßte Züge führten dazu, daß mit rund 30 Anwesenden nicht einmal zehn Prozent der Gruppen vertreten waren. Daß diese 30 Leute kaum für eine Bewegung sprechen und beschließen könnten, die inzwischen so breit ist, daß kaum noch jemand einen Überblick hat, war am Sonntag allen Anwesenden klar. Und so funktionierte man das Koordinations– in ein Arbeitstreffen um, an dessen Ende dann zumindest einige Vorschläge für das weitere Vorgehen standen: für den 26. April soll ein - diesmal gut vorbereiteter - Arbeitskongreß sämtlicher Vobo–Gruppen geplant werden. Dieses Treffen soll einmal dem Informationsaustausch der einzelnen Gruppen dienen, aber vor allem endgültige Klarheit über konkrete Boykottstrategien schaffen. Im Vorfeld der Volkszählung seien zwar auch Unterschriftenaktionen und Boykotterklärungen, wie sie die Humanistische Union und das Grundrechtekomitee zur Zeit mit viel Erfolg organisieren, unterstützenswert, meinten die Vertreter der anwesenden Gruppen. Wenn die Fragebögen jedoch ausgegeben seien, bliebe es dabei: Die beste Boykottstrategie ist das Abgeben der unausgefüllten Fragebögen bei den örtlichen Sammelstellen. Genau disktutiert werden müßte jedoch, welche Einrichtungen - ob Bioläden, Buchhandlungen, Anwaltsbüros oder die Vobo–Iniativen - dafür am risikolosesten in Frage kämen. Geklärt werden müßte auch die Frage, wie lange man den Zähler an der Haustür mit ständigen Bitten nach neuen Fragebögen hinhalten soll und kann. Als Idee wurde auf dem Treffen nun vorgeschlagen, für jeden bei der Sammelstelle abgegebenen Volkszählungsbogen eine symbolische „Entsorgungsgebühr“ von 10 Pfennig zu erheben, um nach dem Motto „Zehn Pfennig, die allen helfen“ mit diesem Geld Rechtshilfefonds für mögliche Bußgeldverfahren zu füllen. Darüber hinaus soll auf dem Bundestreffen diskutiert werden, wie die durch die Volkszählung in breiten Kreisen geschaffene Sensibilität gegen staatlichen Datenhunger auch gegenüber Themen wie neuer Personalausweis und zukünftige Sicherheitsgesetze weiter aufrechterhalten werden kann. Als zweiten bundesweiten Termin neben diesem Arbeitskongreß im April schlägt das Treffen allen Gruppen einen Aktionstag am 9. Mai vor. Der stark dezentral organisierten Vobo–Bewegung soll mit diesem Aktionstag kein zentrales Korsett „verpaßt“ werden. Ein gemeinsamer Tag mit einer Vielzahl von Transparent–Aktionen, Gebäudebesteigungen a la Robin Wood, öffentlichen Petitionsübergaben oder großen Fragebogenspektakeln könnte jedoch öffentlichkeitswirksame Zeichen setzen. Von der satirischen Trauerfeier „in memoriam Volkszählung 1970“ am schlimmsten Fehl– planungsmonument jeder Stadt bis zu Straßenfesten oder Postwurfsendungen gegen die Volkszählung: Ideen für diesen Aktions– tag sind keine Grenzen gesetzt und sollten am 26. April ausgetauscht werden.