Chile erwartet vom Papst ein Zeichen

■ Heute trifft Johannes Paul II. zu einem fünftägigen Staatsbesuch in Santiago ein / Alles ist minutiös vorbereitet / Doch viele hoffen, daß „etwas passiert“: Ein Skandal, ein Wunder oder ein unübersehbares Zeichen / Pinochet ist über einen Brief der Bischöfe verärgert - sie sollen sich lieber dem Gebet widmen

Aus Santiago Iris Stolz

Gipsbüsten, Pullis und Erinnerungsmünzen, Puzzels, Schlüsselanhänger und Wandteller - Dutzende von Produkten mit dem Bildnis des Papstes werden seit Wochen in ganz Chile angepriesen. Johannes Paul II. lächelt von den Werbeflächen der U–Bahn– Schächte, von den Fenstern der Stadtbusse, von den Türen der Häuser. Es vergeht kaum ein Tag, an dem den Journalisten nicht etwas Neues zum Thema einfällt: Der fleißige Archivar der kirchlichen „Papstbesuch–Kommission“ hat bereits 14 dicke Aktenordner mit Zeitungsausschnitten gesammelt. Allein zwei davon sind voller Zeugnisse über die Gefühle, die einem beim Anblick des Heiligen Vaters überkommen können. Da liest man dann von Frauen, die beim päpstlichen Händedruck in Ohnmacht fielen, und von anderen, den im entsprechenden Moment die Worte im Hals stecken blieben. Die Kirche warnt vor „falschen Nonnen“, die anläßlich des Papstbesuchs Gelder für gute Zwecke sammeln, und sogar die Sommerzeit, die auf der Südhalbkugel eigentlich zu Ende ist, wurde zu Ehren des illustren Gastes verlängert, damit es bei den abendlichen Veranstaltungen länger hell bleibt. Kreative Oppositionelle haben Pinochets Worte, „Johannes Paul, ich lade dich ein“, bereits nach ihren Bedürfnissen in „Johannes Paul, nimm ihn mit“, umgewandelt. Wen er mitnehmen soll, versteht in Chile jeder: Pinochet. Das „Papstfieber“ der über neun Millionen chilenischen Katholiken steigt. Das kugelsichere „Papstmobil“, in dem der Heilige Vater fortbewegt wird, ist schon fertig, und über 2.000 Journalisten aus aller Welt sind akkreditiert. Bereits 1978, als er im chilenisch–argentinischen Grenzkonflikt um den Beagle–Kanal erfolgreich vermittelte, hatte sich der Papst angekündigt: Wenn die beiden Länder sich wie Brüder benehmen und ihre Probleme friedlich lösen würden, so gab er damals zu verstehen, dann würde er das mit einem Besuch belohnen. Heute um vier Uhr nachmittags ist es endlich so weit: Der 264. Nachfol ger des Heiligen Petrus wird chilenischen Boden betreten, und dieser historische Augenblick wurde schon in allen Einzelheiten am Flughafen von Santiago eingeübt. Die Hauptperson war freilich nicht dabei, sie wurde von einem Flughafenangestellten gespielt. 117 Stunden wird Er in Chile sein, anderthalb Jahre lang haben sich Kirche und Regierung darauf vorbereitet. Seit Monaten brütet eine Kommission der chilenischen Kirche über dem Ablauf des Besuchs. Alles ist bis ins Detail geplant: An fünf Tagen wird der Papst acht Städte besuchen, er wird sich mit den 40 Bischöfen des Landes treffen und mit General Pinochet unter vier Augen reden. Er wird vom geweihten Gipfel des Hügels San Cristobal aus Santiago segnen, und die Verantwortlichen hoffen, daß ihm der Smog nicht die Sicht nimmt. Er wird bei einer riesigen Abendmahlfeier die chilenische Nonne Sor Teresa de Jesus heiligsprechen, denn sie führte ein vorbildliches Leben und ließ außerdem kürzlich einen Feuerwehrmann wieder auferstehen. Der Papst wird heilige Stätten besuchen, aber auch weniger heilige nicht meiden: Sein Treffen mit der Jugend findet im Nationalstadion statt. Jenem Stadion, das nach dem Militärputsch 1973 als Gefangenenlager benutzt wurde. Die Angst vor dem „Kontext“ Alles ist geplant, aber trotzdem hoffen oder fürchten fast alle, daß „etwas passiert“: ein Skandal, ein Wunder oder wenigstens ein unübersehbares Zeichen. Die Sorge der Regierung und die große Hoffnung der Opposition sind die Massenveranstaltungen. Bei dem für Donnerstag vormittag geplanten Treffen mit den „Arbeitern“, wie im offiziellen Programm die meist arbeitslosen Bewohner der Armenviertel genannt werden, sind eine Million Menschen zu erwarten. Der Papst wird dabei aus jener Bibel lesen, die der Priester Andre Jarlan in den Händen hielt, als er im September 1985 von den „Ordnungskräften“ der Diktatur erschossen wurde. Was tun, wenn diese Massen plötzlich eine Eigendynamik entwickeln und zu Anti– Pinochet–Demonstranten werden? Die traditionellen Kirchenvertreter betonen denn auch den „rein pastoralen Charakter“ des Besuches und bitten darum, politische Ambitionen zu vertagen. Die „Papstbesuchs–Kommission“ wies das chilenische Fernsehen bereits an, nur zu übertragen, was zum offiziellen Programm gehört. „Wenn z.B. jemand während des Aktes im Nationalstadion schreit oder ein Schild hochhält, das nicht zum Kontext gehört“, so der Koordinator des chilenischen Fernsehens, „dann wird das nicht aufgenommen.“ Die kasernierte Polizei (Carabineros), auf der die Hauptverantwortung für die Sicherheit des Papstes lastet, wird allerdings versuchen, politische Demonstrationen schon im Vorfeld zu verhindern: „Es ist verboten“, so ein Polizeisprecher, „Transparente für oder gegen die Regierung zu tragen, weil das den rein geistlichen Sinn der Anwesenheit von Johannes Paul II. entkräften würde.“ Neben 15.000 Carabineros und einer ebenso großen Zahl freiwilliger Helfer werden auch die anderen Abteilungen der Armee sowie Spezialkräfte der Kriminalpolizei und des Geheimdienstes CNI für den „ordentlichen Ablauf“ der Veranstaltungen sorgen. Bereits jetzt beschweren sich Bewohner derjenigen Armenviertel, in deren Nähe das „Treffen mit den Arbeitern“ stattfindet, über zunehmende Kontrollen. Pinochet möchte dem Papst und der Welt ein friedliches Chile zeigen, in dem Demokratie und Militärregierung kein Gegensatz sind. Der Papstbesuch fällt in die Zeit des „Wahlkampfes“, den der General bereits vor Monaten im Hinblick auf das 1989 anstehende Plebiszit begonnen hat. Wie in den Übergangsbestimmungen der Verfassung von 1980 vorgesehen, soll dann das Volk über einen Präsidentschaftskandidaten abstimmen, den die Befehlshaber der Streitkräfte noch vorschlagen müssen, der aber wahrscheinlich Augusto Pinochet heißt. Dieser ist derzeit bemüht, seine Berufung zum Demokraten zu demonstrieren: Die Liste der Exilchilenen, die nicht zurückkehren dürfen, ist seit Neujahr erheblich reduziert, und kürzlich wurden nichtmarxistische politische Parteien zugelassen. Die Pinochet–Regierung wünscht sich eine „nationale Versöhnung“ unter Führung des Militärs und betont denn auch, daß Johannes Paul ein „Botschafter des Friedens“ sei, während er in den kirchenoffiziellen Publikationen als „Botschafter des Lebens“ bezeichnet wird. Pinochets „tiefer Schmerz“ Ganz so friedlich, wie Pinochet sich das wünscht, sind die kirchlichen Autoritäten nicht. In ihrer Erklärung zur Fastenzeit wählten die fünf ständigen Vertreter des Episkopats deutliche Worte: Sie kritisierten die massive Entlassung von Lehrern und forderten die Aufklärung des Mordes an Orlando Letelier. Der Diplomat und Minister der Allende–Regierung war 1976 in den USA ermordet worden. Der Fall schlug erneut Wellen, als vor einigen Wochen ein ehemaliger Heeresoffizier über die Verwicklung des chilenischen Geheimdienstes in den Fall aussagte und gar das Mitwissen General Pinochets andeutete. Weiter drückten die Bischöfe ihre Besorgnis über die Privatisierung staatlicher Unternehmen aus und forderten mehr „Transparenz“ dabei. Als letzten Punkt verurteilten sie die Verhaftung der 18jährigen Nichte des Bischofs von Linares durch den Geheimdienst. Sie erinnerten an die „Tausende von Chilenen und Chileninnen, die ähnliche Situationen erlitten haben oder erleiden“. General Pinochet durchfuhr beim Lesen des bischöflichen Briefes „tiefer Schmerz“, wie er sagte. „Ich glaubte“, so Pinochet, „die Gründungserklärung einer neuen politischen Partei vor mir zu haben. Später stellte ich mit Bedauern fest, daß es die Herren Bischöfe sind, die sich um nichtreligiöse Angelegenheiten kümmern... Ich denke, wenn sie sich zu 90 Prozent dem Gebet widmen würden, wäre das besser.“ Pinochet fügte hinzu, er selbst bete jeden Sonntag und habe die Erziehung eines Christen, der sich nicht um politische Probleme kümmert.