USA wollen neue Raketen in Europa

■ Gorbatschows Null–Lösungsvorschlag für Mittelstreckenraketen läßt USA neue „Raketenlücke“ entdecken / Reagan steuert weiter Junktim zwischen Raketen mittlerer und kurzer Reichweite an

Berlin (wps/taz) - Die US–Regierung prüft nach den Worten eines hohen Regierungsbeamten zur Zeit die Möglichkeit, neue atomare Kurzstreckenraketen der Typen ATACM und JTACM in Europa zu stationieren. Damit soll eine Lücke im westlichen Raketenarsenal gefüllt werden, auf die die „Nach“rüster erst gestoßen waren, nachdem Gorbatschow Ende Februar überraschend Reagans Null–Lösungsvorschlag akzeptiert hatte. Im Einklang mit dem gerade in Washington weilenden französischen Premierminister Chirac wirft die US–Regierung dem Kreml vor, mit der plötzlichen Bejahung eines Abkommens über den Abbau der in Europa stationierten Mittelstreckenraketen größerer Reichweite (1.000 bis 5.000 km) ihren Vorteil im Bereich der Mittelstreckenraketen kürzerer Reichweite (500 bis 1.000 km) und bei den atomaren Kurzstreckenraketen festschreiben zu wollen. Zusammen mit seinen wichtigsten europäischen Verbündeten besteht Reagan darauf, in einem Abkommen über die Raketen mit größeren Reichweiten auch eine Obergrenze für die Raketen kürzerer Reichweite zu vereinbaren. Dagegen bekräftigte der sowjetische Abrüstungsexperte Karpow am Dientag erneut, daß seine Regierung ein Junktim bei den Verhandlungen über Raketen mittlerer und kurzer Reichweite ablehne. Der Kreml schlägt dagegen vor, die Zahl der Mittelstreckenraketen kürzerer Reichweite auf ihrem derzeitigen Stand einzufrieren und darüber später zu verhandeln. Nach der US–Rechnung verfügen die Sowjets im europäischen Raum über etwa 130 SS–12/22 mit einer Reichweite von 900 Kilometern, während sie selber über solche Systeme nicht verfügen. Die US–Regierung will deshalb bis zu einer zu vereinbarenden Obergrenze „nach“rüsten. Die 72 in der Bundesrepublik stationierten und im Besitz der Bundeswehr befindlichen atoma ren Mittelstreckenraketen kürzerer Reichweite des Typs Pershing IA kommen in der Rechnung nicht vor. Trotzdem halten es westliche Rüstungsexperten für möglich, daß US–Außenminister Shultz bei seinem Besuch in Moskau am 17. April mit einem Null–Lösungsvorschlag für den Bereich der Mittelstreckenraketen kürzerer Reichweite überrascht werden könnte. mf