Portugals Regierung vor dem Ende?

■ Debatte im Parlament über einen Mißtrauensantrag gegen regierenden Sozialdemokraten Silva / Haltung der Sozialistischen Partei noch unklar / Silva wünscht bei Parlamentsniederlage Neuwahlen

Aus Lissabon Sergio Rodrigues

Portugals zehnte Regierung seit Inkrafttreten der Verfassung von 1976 könnte am morgigen Freitag stürzen. Auf der Tagesordnung des Parlaments steht seit heute ein Mißtrauensantrag gegen Ministerpräsident Cavaco Silva, Chef eines Minderheitenkabinetts der Sozialdemokratischen Partei (PSD). Am Vortag der Debatte galt eine absolute Mehrheit der 250 Abgeordneten für den Antrag der Partei der Demokratischen Erneuerung (PRD) von Ex–Staatspräsident Eanes als sehr wahrscheinlich. Begründung der PRD– Initiative: Trotz günstiger Konjunktur habe die Regierung wichtige Reformen hinausgeschoben. Korruption grassiere. Den letzten Anstoß für die Regierungskrise gab ein Streit um einen Besuch einer Parlamentsdelegation in der Sowjetunion Mitte März. Als diese schon im Lande war, intervenierte das Lissaboner Außenministerium plötzlich gegen einen langfristig geplanten Besuch in Estland. Portugal erkenne die UdSSR–Hoheit über dieses Gebiet nicht an, deshalb dürfe der Besuch nicht stattfinden. In Portugal zurück, wandte sich PSD–Parlamentspräsident Feranmaral scharf gegen die Einmischung der PSD–Regierung - mit Rückendeckung der gesamten Opposition, von Christdemokraten bis Kommunisten. Krach gab es in den letzten Monaten auch um die Waffenlieferungen an Iran und an die Contra in Nicaragua - die teils über den Flughafen Lissabon gingen. Für Wirbel sorgte schließlich der Streit um Agrarminister Barreto. Seit einem Jahr untersucht eine Parlamentskommission rechtlich fragwürdige Rückgaben von bei der Agrarreform von 1975 an Kooperativen umverteiltem Land an ehemalige Großgrundbesitzer. Barreto soll Gerichtsurteile zugunsten von Kooperativen nicht befolgt haben. Umstritten ist allerdings der Zeitpunkt der PRD–Initiative, zumal Staatschef Soares zur Zeit in Brasilien weilt. Die Sozialistische Partei (PS) hatte einen Aufschub der Parlamentsdebatte gefordert und der Regierungspartei Verhandlungen angeboten. Für eventuelle Neuwahlen fühlen sich die Sozialisten noch nicht fit. Ihr Angebot fand aber keine Resonanz. Somit dürften neben den 45 PRD–Parlamentariern, den Kommunisten (34 Sitze), der demokratischen Bewegung (3 Sitze) und der Abgeordneten der Grünen auch die 57 PS–Vertreter gegen Regierungschef Cavaco Silva votieren. Unklar ist noch die Alternative zur jetzigen Regierung. Anders als in der BRD geht ein Mißtrauensvotum nicht automatisch mit der Wahl eines neuen Regierungschefs einher. Die Eanes–Partei will aber notfalls auch allein regieren. Dem jetzigen Regierungschef Cavaco Silva wären dagegen Neuwahlen recht. Seine im November 1985 angetretene Regierung hat erheblich vom Dollar– und Ölpreissturz profitiert, was die Inflationsrate 1985/86 von ca. 20 auf 11,7 obwohl die Arbeitslosigkeit steigt, immer mehr Firmen die Löhne nicht pünktlich zahlen und in Nordportugal die Kinderarbeit zunimmt, fühlt sich Silva im Aufwind. Einzelne Meinungsumfragen sahen die PSD gar schon an der Schwelle zur absoluten Mehrheit im Parlament.