Erich Mustermann ist „up to date“

■ Von neuen alten und neuen neuen Personalausweisen: Szenen aus der Bürokratie / Die Plastikkarte ist „so praktisch klein“ / Begeisterte Bürger drängeln sich in den Amtsstuben / Staatsdiener kassieren jetzt zehn statt zwei Mark

Krefeld/Aachen (taz) - Der Endzwanziger, ein Typ zwischen Yuppie und Ingenieur, ist richtig enttäuscht. Denn die Dame im Krefelder Einwohneramt läßt nicht mit sich handeln, nein, am 31. März könne man noch keinen neuen Personalausweis beantragen, erst ab 1. April. Der Supereilige ist sauer über soviel Bürokratie, wollte er doch als erster im Bekanntenkreis die schöne moderne Identifizierungskarte herzeigen. Auch zwei Rentnerinnen waren umsonst gekommen. Sie hätten in der Zeitung gelesen, ab 1. April müsse jeder diesen neuen Ausweis haben. Nein, sagt die Amtsdame, ihre Ausweise seien doch noch bis 1990 gültig, das habe Zeit. Nach langen mühevollen Erklärungen packen die beiden Alten ihre alten Ausweise wieder ein: „Na, bis dahin sind wir ja vielleicht schon dreimal tot!“ Szenen aus Krefeld, dem Wohnort der „Erika Mustermann“, mit deren Musterausweis Politiker und Amtswalter seit Jahren die „maschinenlesbare“ und „fälschungssichere“ Zukunft schmackhaft machen. „Für Mittwoch erwarten wir hier einen Ansturm“, sagt die freundliche Krefelder Amtsdame zum Abschied dem taz–Redakteur, der sich, neben zahlreichen anderen Nostalgikern des grauen Papptyps, gerade noch für einen neuen alten Ausweis entschieden hatte, gültig bis 30.3.1992. Szenenwechsel, einen Tag später. Meldeamt Aachen: Die ersten kommen schon vor acht Uhr. Endlich gibt es nur noch neue Pa piere. Ein junger Dynamiker will mit der Plastikkarte „up to date“ sein, ein anderer hatte seinen alten Ausweis kürzlich verloren und extra bis zur neuen Ära gewartet. Eine junge Mutter findet die Plastikkarte „so praktisch klein“ und ein rüstiger Rentner zeigt ungebeten sein Portemonnaie–Inneres: Zu all den Scheckkarten passe der neue Personalausweis doch wunderbar; und überhaupt, wieder ungefragt, sei er auch entschieden für die Volkszählung. Kritiker der Computerkarte gibt es nicht, die waren alle wegen Verlängerungen vor dem Stichtag da. Am Dienstag sei sogar, sagt eine Aachener Amtsdame, „die Hölle los gewesen“. Für die Staatsdiener ist es ein Tag, der anders ist als die anderen: sie dürfen jetzt zehn statt zwei Mark Gebühr kassieren, müssen viel erklären und dürfen jetzt die neue rot–silberne Normzange für die neuen Maße der Paßbilder bedienen. In drei Wochen werden in Aachen die ersten Ausweiskarten für die maschinenlesbaren Mustermenschen vorliegen. Bernd Müllender