Ostpolitik von Mensch zu Mensch

■ Bundesdeutsche und sowjetische Städtepartnerschaften als praktische Entspannungspolitik / Von Felix Kurz

Oskar Schubart, langjähriges CSU–Mitglied und Oberbürgermeister der Stadt Rothenburg ob der Tauber, ist ein Mann, der zu seinen Überzeugungen steht: „Es ist höchste Zeit“, so bekundete er gegenüber der taz, „endlich auch zu einer Aussöhnung mit den östlichen Nachbarn zu kommen.“ Die Idee, wie er persönlich dazu beitragen könnte, kam dem 63jährigen vor zweieinhalb Jahren während einer Bildungsreise durch die Sowjetunion. Neben anderem besichtigte er dort die alte historische Stadt Susdal bei Moskau und war „begeistert“. „Die Schönheit der Stadt, die reiche Geschichte und eine seltene touristische Auszeichnung, den Goldenen Apfel, den auch Rothenburg erhalten hat“, so Schubart, habe in ihm den Wunsch geweckt, eine Städtepart nerschaft zwischen seiner Gemeinde und Susdal anzustreben. Daß er sich damit innerhalb seiner Partei nicht nur Freunde schaffte, ficht den resoluten OB nicht weiter an. „Wir haben das Land ja überfallen, jetzt müssen wir auch einen Schritt zur Versöhnung tun.“ Schubarts Haltung blieb in der Sowjetunion nicht unbeachtet. Persönlich lud ihn Moskaus Botschafter in Bonn, Julij Kwizinskij, zu einem Treffen in Saarbrücken ein, bei dem sich zum ersten Mal Vertreter sowjetischer und bundesdeutscher Partnerstädte zu einem gemeinsamen Gedankenaustausch trafen. Vier Tage lang, von Samstag bis zum gestrigen Mittwoch, saßen sowjetische und deutsche Oberbürgermeister und Bürgermeister zusammen und diskutierten über den Weltfrieden, den neuen Kurs Michail Gorbatschows, über den Sinn ihrer Beziehungen, über Umweltschutz, Stadtplanung und Städtebau. 13 feste Städtepartnerschaften gibt es bislang zwischen bundesdeutschen und sowjetischen Gemeinden. Die älteste davon ist die zwischen Saarbrücken und Tbillisi, der Hauptstadt der Sowjetrepublik Georgien. Hamburg und Leningrad, Ludwigshafen und Sumgait, Kiel/Tallin, Bremen/ Riga gehören ebenfalls zu den Städtepaaren, die schon länger existieren. Elf weitere Partnerschaften sind bereits eine ausgemachte Sache wie beispielsweise Nowgorod/Bielefeld, Bochum/ Donezk, Kiew und München. Der Vorreiter der Städtepartnerschaften zwischen der UdSSR und der BRD war Saarbrücken. Vor zwölf Jahren am 22. März 1975, noch zu Zeiten, als der Oberbürgermeister in der saarländischen Landeshauptstadt Oskar Lafontaine hieß, vereinbarte man den gegenseitigen Austausch von Delegationen. Begünstigt wurde dieses historische Ereignis vor allem auch durch die Ostpolitik Willy Brandts. Heute reisen zweimal im Jahr rund 150 saarbrücker Bürger nach Tbilissi. Das Saarbrücker Theaterensemble führt in der georgischen Hauptstadt seine Stücke auf, und Theatergruppen aus Tbilissi spielen in der saarländischen Haupstadt. Eugen Kogon als Vorreiter Doch außer dieser einen Partnerschaft geschah offiziell lange erstmal nichts weiter. Zwar reisen schon seit rund 25 Jahren Jugendliche aus Hamburg nach Leningrad, doch institutionalisierte Kontakte wurden daraus zunächst nicht. 1975 besuchte auch Dietrich Sperling, SPD–Bundestagsabgeordneter und Präsident der Arbeitsgemeinschaft der Gesellschaften BRD–UdSSR zum ersten Mal in der Sowjetunion. Seine Organisation ist wesentlich an der Gestaltung freundschaftlicher deutsch–sowjetischer Beziehungen beteiligt. Initiiert hatte diese Gesellschaft Ende der sechziger Jahre der Schriftsteller Eugen Kogon, die Ehefrau des früheren hessischen Ministerpräsidenten Christa Zinn und der Darmstädter Studentenpfarrer Bruno Mochalski. Vor allem Eugen Kogon wollte nach der Versöhnung mit dem Westen auch die „Versöhnung mit dem Osten“. Zum Dank wurden er und die anderen als „trojanische Pferde der Sowjets“ diffamiert. Zunächst war das Interesse der Sowjets an Städtepartnerschaften in die BRD äußerst gering. „Bitte schreiben Sie uns einen Brief.“ Die förmliche und vor allem bürokratisch–statische Art dominierte und verhinderte vieles. Heute ist das anders. Vor allem seit dem neuen Kurs im Kreml sucht man dort die Städtepartnerschaften. Ganz anders verhält es sich in der DDR. Dort will man die Zahl der Partnerschaften mit dem bundesdeutschen Nachbarn zunächst auf die Zahl 10 begrenzen. Für Dietrich Sperling ist gerade das erste Treffen der Partnerstädte in Saarbrücken ein weiteres Signal und „eine Dokumentation des Öffnens der Sowjets nach außen“. Wiederbelebter Jugendaustausch Ein Jugendaustausch gab es in den siebziger Jahren übrigens ebenfalls, der von seiner Organisation und dem russischen Pendant, dem SSOD, der Assoziation für Beziehungen sowjetischer und ausländischer Städte getragen wurde. Bis zur Bonner Wende 1983 reisten jährlich rund 14 Gruppen mit je 30 Teilnehmern in die UdSSR. Mit Heiner Geißler als zuständiger Minister für Jugend und Familie riß das zarte Band dieser Beziehungen. Mit der ihm eigenen Personalpolitik versuchte er, seine eigenen Leute den russischen Partnern gegenüber zu set zen. „Derart unsensibel“, so Dietrich Sperling zur taz, könne man keine Ostpolitik betreiben. Erst als Rita Süssmuth Geißlers Ressort beerbte, kam es zu einem auch von ihr gewünschten Gespräch mit der Gesellschaft UdSSR/ BRD, und die Jugendreisen konnten wieder aufgenommen werden. Die SSOD organisiert von der sowjetischen Seite aus die Städtepartnerschaften. Der Leiter der Abteilung Auslandsbeziehungen sowjetischer Städte bei SSOD, Sergej Paramonov, war lange Zeit als Diplomat in den USA tätig. Probleme, so berichtete er gegenüber der taz, habe man vor allem bei der Suche nach Partnern für kleine deutsche Gemeinden. Und auch bundesdeutsche Landkreise haben sich schon für Partnerschaften bei ihm gemeldet. Er gibt gerne zu, daß bislang die deutschen Städte schneller mit ihren Wünschen waren, als „wir darauf reagieren konnten“. Aber „wir tun unser Bestes“, und auch er persönlich steht eher für eine unbürokratische Handhabe bei organisatorischen Problemen ein. „Schließlich wollen wir voneinander lernen und uns gegenseitig informieren“, sagt Paramonov. Der russische Delegationsleiter Ewgenij Iwanow, der erste Stellvertreter der Präsidentin von SSOD, der Kosmonautin Valentina Tereschnikowa, hielt in Saarbrücken nach Überzeugung aller Teilnehmer eine bemerkenswerte Rede, in der er auch auf die aktuelle Situation in der UdSSR einging. Iwanow sprach davon, daß in seinem Lande „ihrem Wesen nach revolutionäre Wandlungen vollzogen werden“. Gerade des halb fordere die „sowjetische Öffentlichkeit, durch entgegenkommende Aktionen die Normalisierung der internationalen politischen Atmosphäre zu fördern“ und „die Konfrontation aufzugeben“. In dieser Hinsicht, so Iwanov, soll dieses Treffen dazu beitragen, daß „breite Schichten der Öffentlichkeit beider Länder in den Bereich der Kontakte und des Austausches einbezogen werden“. Konkret wurde das schon jetzt. Berlin–Klausel kein Hindernis mehr Zum ersten Mal vereinbarte man, nun auch ganze sowjetische Schulklassen in die Partnerstädte zu schicken. Bislang galt dies nur umgekehrt. Ebenfalls bemerkenswert war nach Ansicht von Beobachtern, daß Iwanov an der Berlin–Klausel nicht mehr festhielt. Das wurde deutlich, als er ausdrücklich bemerkte, daß man in Zukunft Verbindungen zum Deutschen Städtetag aufnehmen will und „die Dogmen und die Voreingenommenheit sein zu lassen, die die Entwicklung von Kontakten dieser Art im Wege stehen“. Als weiteren Effekt des Treffens erhoffen sich die Beteiligten, daß die deutschen Städte ermutigt werden, Partnerschaften mit russischen Gemeinden zu gründen. Der Saarbrücker Oberbürgermeister, Hans–Jürgen Koebnick, bemerkte dazu recht säuerlich, daß es zwar rund 2.000 Städtepartnerschaften mit westlichen Verbündeten gäbe, aber nur dreizehn mit der UdSSR. Ein Trend zu mehr Städtepartnerschaften zur UdSSR ist in der Tat schon heute auszumachen. Bislang waren es nur SPD–regierte Kommunen, die auch vor dem eher „schlechten Geruch“ einer solchen Liaison nicht kniffen. Inzwischen basteln außer der CSU–Gemeinde Rothenburg ob der Tauber noch andere CDU– oder CSU–Gemeinden an einem Partnerschaftsverhältnis zu einer sowjetischen Gemeinde. Das führt auch zu weitergehenden politischen Einsichten. Der Rothenburger CSU–Oberbürgermeister Schubart trägt „selbstverständlich“ das gemeinsam erarbeitete Abschlußkommunique, das die „baldige Beseitigung der Mittelstreckenraketen in Europa“ als „echten Schritt“ in Richtung auf eine „völlige Beseitigung“ aller Kernwaffen begrüßt, mit.