Vobo–Spione

■ Telefon von Kritiker abgehört / SPD–Juristen gegen Volkszählung und Kriminalisierung

Von Vera Gaserow

Berlin (taz) - Gerade hatte Dieter Hummel, Mitherausgeber des Buches „Vorsicht Volkszählung“ und zur Zeit begehrter Referent in Sachen Volkszählungsboykott, nach einem Telefonat mit der taz den Hörer aufgelegt, klingelte es erneut. Diesmal meldete sich jedoch nur ein mysteriöses Rauschen am anderen Ende der Leitung. Dann hörte Hummel im Hintergrund deutlich eine männliche Stimme zu einem anderen unbekannten Gesprächspartner sagen: „Haste das? Das war doch grad die Gaserow von der tagesszeitung, mit der er geredet hat.“ Beim Abhören des Hummelschen Telefons hatten die Lauscher offenbar versäumt, sich rechtzeitig wieder auszuschalten. Daß Staat und Verfassung „schützende“ Dienste Telefone von exponierten Volkszählungskritikern abhören, paßt zu den Erfahrungen, die Hummel der taz gerade zuvor von einer Veranstaltung im bayerischen Coburg berichtet hatte. Fortsetzung auf Seite 2 Surrealistische Theologie??? Gibt es ein Leben nach der Müllverbrennungsanlage?, fragte eine Plastiktüte die andere. Was hat dieser grüne Himmel über uns zu bedeuten?, fragte die Badezimmerkachel den Schwamm. Wo ist der Sinn?, schrie die Schneeflocke, als sie auf den warmen Beton aufschlug. Wer mir folgt, erwirbt das ewige Leben!, rief die Wäscheklammer, als sie vom Balkon fiel. Roberto P. Lalli Dort hatte die örtliche SzeneKneipe „Sowieso“ einen Anruf bekommen, in dem der Staatsschutz dringend vor der geplanten Vobo–Veranstaltung in den Kneipenräumlichkeiten gewarnt hat. Andernfalls stünde den Alternativ–Wirten eine Kontrolle nach dem Gaststättengesetz bevor. Als die Veranstaltungsorganisatoren daraufhin bei einer gutbürgerlichen Kneipe nach Räumlichkeiten anfragten, wußten die Wirtsleute auch dort schon Bescheid. Herren von der Polizei hatten im Vorfeld vor Schwierigkeiten gewarnt, da auf der geplanten Veranstaltung auch ein gewisser Herr Hummel auftreten solle, der schon mehrfach in seinen Reden zum Boykott aufgerufen habe. Als die Wirtsleute sich dennoch zur Vergabe der Räume bereit erklärten und einer der Veranstalter den Termin beim Coburger Bürgermeister anmeldete, saß ihm dort ein Herr Hartan, seines Zei chens Kriminalhauptkommissar bei der Politischen Polizei, gegenüber. Der eingeladene Referent Hummel sei ein „subversives Element“, redete der Herr in Polizeidiensten dem Veranstalter ins Gewissen. Seit einer Veranstaltung in Augsburg würde ein Vorgang des polizeilichen Staatsschutzes diesen Volkszählungskritiker bei seinen Referentenreisen quer durchs Land begleiten. Die Coburger Volkszählungsveranstaltung wurde schließlich u.a. nur unter der Auflage erlaubt, daß vier Beamte des Staatsschutzes kostenlos daran teilnehmen dürften und zwei namentlich genannte, als politisch engagiert bekannte Coburger Bürger an dem Abend nicht zur Wort kämen. Weil sie als Kontaktadressen für die örtliche Vobo–Initiative angegeben waren, haben jetzt erstmals in Ostfriesland mehrere Personen eine Vorladung zur Kripo bekommen. Ihre Adressen waren in der Hannoveraner Broschüre „Volkszählung 87“ unter der Rubrik „Jetzt oder nie - Boykott“ als Anschrift der örtlichen Vobo–Ini aufgelistet worden. Innerhalb von einer Woche sollen sich deshalb jetzt in Aurich und Emden die „Kontaktleute“ bei der Kripo zum Verdacht des Verstoßes gegen § 116 Ordnungswidrigkeitengesetz äußern. SPD–Juristen für Aussetzung Für eine Aussetzung der im Mai vorgesehenen Volkszählung hat sich die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen (AsJ) in Hamburg ausgesprochen. Zumindest aber sollte in Fällen offenen oder versteckten Boykotts im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten von Bußgeldern abgesehen werden, forderten die SPD– Juristen in einer am Mittwoch bekanntgewordenen Stellungnahme. Dem weitverbreiteten Unbehagen und Widerstand gegen die Volkszählung - so die SPD–Juristen - liege offensichtlich ein fehlendes Vertrauen in den Staat zugrunde. Auch sei zu befürchten, daß die Volkszählung keine hinreichend verwertbaren Daten mehr liefern werde, weil die Front der Ablehnung schon zu groß sei.