„Wir tun hier nur unsere Pflicht“

■ Interview mit Staatsanwalt Albert Farwick (53), der die Ermittlungen gegen die Betreiber der Hanauer Nuklearfirmen ALKEM und NUKEM, gegen leitende Beamte des hessischen Wirtschaftsministeriums und gegen Wirtschaftsminister Steger und seine Vorgänger leitet. Gegen Farwick und seine Behörde hat der Leiter der Atombehörde im hessischen Wirtschaftsministerium, Ulrich Thurmann, Strafanzeige wegen angeblicher Weitergabe von Ermittlungsdaten an die Presse erstattet.

taz: Herr Farwick, wie fühlt man sich als Staatsanwalt, wenn man selbst mit einer Strafanzeige - „wg.“ Weitergabe von Akten an Journalisten - belastet ist? Farwick: Daran gewöhnt man sich. Ist Ihnen das schon öfter passiert? Ja sicher. Da gibt es die ewigen Querulanten, manche sind Michael Kohlhaas–Typen und fühlen sich zu unrecht verfolgt. Die zeigen dann alle an, die mit der Strafverfolgung zu tun haben: die Polizeibeamten, die Staatsanwälte - oder sie legen Dienstaufsichtsbeschwerden ein, über die ich dann zu entscheiden habe. Und wenn ich die dann zurückweise, zeigen sie mich wegen Rechtsbeugung an. Danach sind die Richter an der Reihe, die mit dem Fall befaßt sind. Das gibt es immer wieder. Jede Strafverfolgungsbehörde hat es mit solchen Typen zu tun. Gehört Herr Thurmann auch zu diesen „Typen“? Da möchte ich eigentlich „nein“ sagen. Das glaube ich nicht. Sie haben im Falle NUKEM die Ermittlungsarbeit auf den hessischen Minister für Wirtschaft und Technik, Ulrich Steger, und seine Vorgänger ausgedehnt. Im Falle ALKEM haben Sie sich auf die Beamten und die Betreiber beschränkt, auch mit der Anklageerhebung. Warum? Wir hatten bei den ALKEM–Ermittlungen nicht den geringsten Hinweis darauf gefunden, daß einer der Minister - in der Zeit um die es ging - auch nur Kenntnis von dem gehabt haben konnte, was in Sachen ALKEM vor sich ging. So hatten wir auch keine Veranlassung, die Ermittlungen hier auszudehnen. Aber es ging doch in beiden Fällen um die sogenannten „Vorabgenehmigungen“, oder nicht? Das ist richtig. Das heißt, Sie haben im Falle NUKEM entsprechende Papiere mit den entsprechenden Unterschriften eingesehen, die es nahelegten, die Ermittlungen auch auf Minister Steger und seine Vorgänger auszudehnen? Auch das ist richtig. Zum Teil haben sich die Minister auch selbst zu ihrem Handeln bekannt. So hat beispielsweise der ehemalige Wirtschaftsminister Reitz (SPD) im Landtag erklärt, daß er von den Vorabgenehmigungen Kenntnis gehabt habe und daß er dafür die politische Verantwortung übernehme. Sind Sie bei Ihrer Ermittlungsarbeit - sowohl in den Hanauer Betrieben als auch im Wirtschaftsministerium - auf große Widerstände gestoßen oder hat man dort bereitwillig mit Ihnen zusammengearbeitet? Auf große Widerstände sind wir nicht gestoßen. Selbstverständlich waren die Betroffenen nicht gerade erfreut, als wir kamen. Aber eine Behinderung unserer Arbeit fand eigentlich nicht statt. Glauben Sie, daß Sie im Zusammenhang mit Ihren Ermittlungen alle Akten haben einsehen können? Ich glaube ja, obgleich man nie ausschließen kann, daß man das eine oder andere - von dessen Existenz man nichts wußte - übersehen hat oder nicht zu Gesicht bekommen hat. Wie beurteilen Sie das Verhalten des ehemaligen ALKEM–Geschäftsführers Warrikoff (CDU– MdB), der Sie ja - im Zusammenhang mit der ALKEM–Anlage - öffentlich scharf angegriffen hat? Ich möchte dazu eigentlich nichts sagen. Es ist nicht mein Stil, sich so zu verhalten. Aber auch Herr Warrikoff hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Davon hat er Gebrauch gemacht. Herr Minister Steger ist ja in eine ähnliche Richtung gegangen, auf seiner Pressekonferenz Anfang März, als feststand, daß Sie auch gegen ihn ermitteln. Steger hat gesagt, daß die Hanauer Staatsanwaltschaft „gegen den Rest der Welt“ kämpfe. Sie seien zu „einsamen Entscheidungen“ gekommen, die von niemandem mitgetragen würden. Auch Herr Minister Steger hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Wie er davon Gebrauch macht, das ist seine Sache. Fühlen Sie sich denn als Einzelkämpfer? Nein, durchaus nicht. Im Zusammenhang mit einem Ermittlungsverfahren würde mir eine solche Formulierung nie über die Lippen kommen. Wieviele Ihrer Kollegen sind denn dran, an den Ermittlungsverfahren in Sachen Hanauer Nuklearbetriebe? Zur Zeit sind zwei Staatsanwälte für die Bearbeitung dieses umfangreichen und schwierigen Komplexes völlig freigestellt. Laufen denn, außer in Sachen NUKEM und ALKEM, noch weitere Ermittlungsverfahren? Ja. Wir haben noch ein Ermittlungsverfahren gegen die verantwortlichen Geschäftsführer der Firma RBU (Reaktor–Brennelemente–Union, die Red.) und wieder gegen Beamte des hessischen Wirtschaftsministeriums eingeleitet. In diesem Zusammenhang ist auch ein Verfahren gegen den Bundesinnenminister Dr. Zimmermann anhängig. Es liegt dem eine Strafanzeige zugrunde, daß Zimmermann über eine ergangene Weisung das Strafrecht verletzt haben soll. Aber in diesem Fall laufen die Ermittlungen noch? Ja. Das Ermittlungsverfahren kommt auch sicher erst nach dem NUKEM–Verfahren zum Abschluß. Bei NUKEM sind wir in die entscheidende Phase eingetreten. Unsere eigenen Ermittlungen sind im wesentlichen abgeschlossen. Zur Zeit wird den Anwälten der beschuldigten Personen Akteneinsicht gewährt, nachdem wir den Angeschuldigten selbst eine angemessene Frist zur Stellungnahme eingeräumt haben. Danach wird hier im Hause die Entscheidung gefällt werden, ob wir Anklage erheben oder nicht. Diese Entscheidung ist aber bei Ihnen auch in der Tendenz noch nicht gefallen? Nein. Wir werden das frühestens in drei Monaten bekannt geben, ob wir Anklage erheben oder nicht. Macht Ihnen das nicht Angst, Herr Farwick, daß Sie sich hier - ohne politische Rückendeckung - mit hochkarätigen Politikern und Wirtschaftsführern anlegen? Also... ich möchte sagen, daß das Wort „anlegen“ doch falsch gewählt ist. Wir legen uns eigentlich mit niemandem an. Das Wort hat so den Geruch, als würde man etwas herbeiführen wollen. Wir gehen aufgrund gesetzlicher Vorschriften gegen Personen vor, wenn der entsprechende, hinreichende Verdacht auf eine Straftat gegeben ist; bei Anfangsverdacht mit Ermittlungen und bei konkretem Tatverdacht mit einer Anklageerhebung. Nach unserem Auftrag ist davon kein Personenkreis ausgenommen. Wir tun hier nur unsere Pflicht. Gab es Versuche, Druck auf Sie auszuüben? Das kann ich mit einem klaren „Nein“ beantworten; jedenfalls ist ein solcher Druck, wenn es Versuche gegeben haben sollte, nie bis zu uns durchgedrungen. An uns selbst ist nie ein unsittlicher Antrag herangetragen worden. Was da mal in einer Illustrierten gestanden hat, daß der Justizminister unsere Vorlagen mehrmals zurückgewiesen habe, das ist alles blanker Unsinn. Unser Ministerium hat uns nicht eine einzige Minute daran gehindert, unsere Pflicht zu tun. Herr Farwick, Sie ermitteln auch in Sachen Plutoniumunfall bei der NUKEM. Bis jetzt steht fest, daß dort 16 Arbeiter mit Plutonium kontaminiert wurden. 54 weitere Arbeiter werden noch untersucht. In welche Richtung gehen da die Ermittlungen? Einmal prüfen wir, ob es sich hier um eine fahrlässige Körperverletzung handelt. Darüber hinaus ermitteln wir, ob hier ein Verstoß gegen den § 328 des Strafgesetzbuches vorliegt. Danach ist der unerlaubte Umgang mit Kernbrennstoffen unter Strafe gestellt. Es scheint ja unstreitig zu sein, daß der Umgang mit Plutonium bei der NUKEM nicht erlaubt ist. Auch muß noch geprüft werden, wie das Plutonium dorthin gekommen ist, ob da irgendjemand vorsätzlich gehandelt hat oder ob das nur ein Versehen war. Sind Ihre Kollegen in Karlsruhe mit eingeschaltet? Die Probe soll ja aus dem dortigen Kernforschungszentrum gekommen sein. Nein, das machen wir von hier aus, da bei uns die Zuständigkeit der Strafverfolgung liegt, auf Grund der Vorschriften der Straf prozeßordnung. Und ich habe ja hier zwei überaus sachkundige Mitarbeiter. Wir waren auch schon in Karlsruhe, aber Ergebnisse kann ich Ihnen in diesem Zusammenhang noch nicht mitteilen. Wir ermitteln gegen Verantwortliche, wobei wir aber noch nicht auf bestimmte Personen fixiert sind. Das Gespräch führte Klaus–Peter Klingelschmitt