Der „Duce–Verschnitt“ macht mobil

■ Auf dem Parteikongreß der italienischen Sozialisten in Rimini zelebriert Bettino Craxi vor allem sich selbst / Kein Konzept, aber viel Geld, Pomp und Kitsch / Protziges Eigenlob statt programmatischer Worte / Die Parteigenossen gehen voll mit

Aus Rimini Werner Raith

„And youre the great Pavarotti, arent you?“ Natürlich bin ich nicht Italiens Caruso– und Gigli– Nachfolger, und so wendet sich der Kollege von Herald enttäuscht dem Nächsten zu, der einigermaßen rundlich ist und einen dunklen Vollbart trägt. „Voller Künstler und Stars“, hat er gehört, soll dieser Kongreß sein, „eine Versammlung von Menschen, die auf der ganzen Welt etwas bedeuten“; darum ist er hier. Man merkt, daß er noch nie einen italienischen Parteikongreß mitgemacht hat, wo Wissenschaftler und Schauspieler, Professoren und Kulturmenschen geradezu in Hundertschaften angekarrt werden, um den Parteien Glanz und Ansehen zu verschaffen. Freilich dürfen sie auch bei diesem 44. Parteikongreß der italienischen Sozialisten - der vierte, seit Craxi die PSI 1976 im Handstreich übernommen hat - wieder nur den „Rahmen“ bilden; die Einfassung um ein Zentrum, das in sich kreist und prall gefüllt ist mit Selbstzufriedenheit und Energie für alle Zukunft: Parteichef Bettino Craxi, 53, aus Mailand, politisch auf jedem Feld ein Senkrechtstarter (ohne jemals Minister gewesen zu sein, stellte er den Rekord von fast vier Jahren Ministerpräsident auf), zelebriert mitten während der Regierungskrise „seinen“ Kongreß. Rimini, zur Zeit noch etwas verschlafene Badestadt mit quadratkilometerweit hotelgepflastertem Adriastrand, hat für den Anlaß den großen Hausputz gemacht, fast alle Herbergen sind geöffnet, allein neunhundert Journalisten begehrten Quartier, gut dreihundert davon aus Übersee - so viel Andrang hat noch kein Parteikongreß erlebt. Entsprechend hat die Sozialistische Partei - mit knapp zwölf Prozent nur auf Platz drei der Wählergunst - aufgefahren: Nichts ist zu teuer (an Geld fehlt es nie) und nichts zu kitschig, als daß es die Organisatoren nicht untergebracht hätten. Star–Architekt Panseca, der schon beim 43. Kongreß in Verona mit der Idee einer gigantischen Diskothek alles bis dahin Dagewesene schlug, hat diesmal umgestellt auf Olymp und den Kongreßsaal mit viel Bronze, Silber und Talmi–Marmor in das Szenarium eines Tempels verwandelt, in dem die Führungskräfte der Partei sitzen; davor eine Art Altar als Rednertribüne - und davor wieder sitzt, steht, hockt und lauscht das Fußvolk. Während der Parteichef seine zwei Stunden spricht, wachen rechts und links neben seinem Altar zwei langmähnige Engel - oder sind es Amazonen? Vielleicht der einzige Fehlgriff: Angesichts des pompösen Tempels sehen die beiden ein wenig mickrig aus - eine Kompanie lanzenbewehrter Reiterinnen wäre schon angemessen gewesen. Bevor der Meister selbst einmarschiert, die Internationale erklingt und die unvermeidlichen Töne des Gefangenenchors aus „Nabucco“ (“Flieg, Ge danke...“) die fünftausend Hereingelassenen in Ehrfurchtsschauder versetzen, müssen natürlich die unteren Chargen Platz nehmen: Regionalpatriarchen und ehemalige „Leader“, Häuptlinge der verschiedenen bedeutungslosen Parteiflügel, Vordenker und Organisatoren. Dann der erste rituelle Höhepunkt: Einmarsch der Chefs aller anderen Parteien. Das Defilee ist wichtig, denn dabei will der Kongreß gleich einmal zeigen, wie er es mit wem halten will. So bekommt Christdemokratenführer Ciriaco De Mita moderate Pfiffe zu hören - ihn braucht man noch, also nicht zu laut; der Republikaner Gio vanni Spadolini, regierungsarithmetisch entbehrlich, kriegt schon mehr ab, weil er unbedingt die von den Sozialisten zur Gretchenfrage hochstilisierten Referenden über Atomkraftwerke blockieren will. Doch die Parteioberen zeigen, wie gut sie Regie führen: Gut zehn Sekunden lassen sie pfeifen, dann springen sie wie auf Kommando unter ihrem Tempelbaldachin hoch und klatschen demonstrativ - kein Pfiffchen ist da mehr zu hören. „Wie 1924 beim Duce“, entsetzt sich ein Veteran in der Reihe vor mir, der „noch mit Nanni gekämpft hat“ - wofür auch immer. Als Craxi zu seiner Rede anhebt, kann man, in Italien tatsächlich seit Mussolinis Zeiten kaum mehr vorgekommen, eine Stecknadel fallen hören. Danach ein im Minutentakt erfolgender Wechsel von Lauschen und Klatschen, Jubel und Ehrfurcht. „Ich weiß gar nicht, warum die da eine Bestuhlung reingetan haben - wir müssen sowieso alle zwei Minuten aufspringen und Beifall klatschen“, brummt mißmutig der Sekretär des Craxi–kritischen, freilich längst einflußlosen Ex–PSI–Chefs Giacomo Mancini neben mir. Der Dauerbeifall ist wichtig - er überdeckt, daß der machtbewußte Mailänder keinen, nicht einen einzigen neuen Gedanken einbringt. Kein programmatisches Wort für die Zukunft, nur protziges Eigenlob: „Italien war in der Krise“ - Retter: Craxi. Italien ist fünftgrößte Industrienation geworden. Urheber: Craxi. Italiens Bruttosozialprodukt liegt nach Canada an zweiter Stelle in der ganzen Welt. Schöpfer: Craxi. Selbst wenn er, beiläufig, auf die „günstige Weltkonjunktur“ zu sprechen kommt (die in Wirklichkeit das alles ermöglicht hat), dürfen die Delegierten glauben, auch die sei alleine Craxis Werk. Windelweich wird die Rede allerdings, wenn er die Stellung der PSI zu den anderen Parteien definiert: so unklar, daß die Nachtausgaben der Zeitung den Eindruck erwecken, ihre Reporter seien auf ganz verschiedenen Kongressen gewesen. Die kommunistische Unita entdeckt „nichts Neues“, die industrienahe La Stampa sieht jedoch besorgt eine „Öffnung zu den Kommunisten“. Paese sera hat herausgehört, daß Craxi die Regierungskrise mit einer neuen Fünfparteienkoalition beenden möchte. La Republica findet, daß der PSI–Chef „es künftig weder mit dem PCI noch mit der DC halten will“. „Keiner zufrieden, keiner unzufrieden“, kommentierte, zu Recht, Il manifesto. Fünf Tage soll die Selbstzelebration weitergehen: Die Regierungskrise wird bis dahin fortschwelen, „die Geschäfte haben sich von Rom nach Rimini verlagert“, meint der staatliche Rundfunk RAI. Der Kollege von Herald hat inzwischen seinen Pavarotti gefunden, oder irgendeinen anderen Sänger. Aber nun hat er ein neues Problem: „The old man? Where ist he?“ Altpräsident Sandro Pertini, hat doch Craxi gleich zu Anfang (zum „Anwärmen“ der Zuhörer) gesagt, „ist hier, mitten unter uns“. Das aber war nur geistig gemeint. Etwas Besseres als der Schlaganfall des Altpräsidenten konnte Craxi kaum passieren. Denn „der Alte“ ist derzeit der einzige, der dem Rechthaber aus Mailand noch immer kräftig die Leviten liest - auch auf Kongressen, und trotz seiner neunzig Jahre.