Eine Diskussion dreht sich im Kreis

■ Mit bekannten Schablonen versuchten CDU/CSU erneut aus der „Gewaltfrage“ Profit zu schlagen

Rechtzeitig vor der Wahl in Hessen am kommenden Sonntag diskutierte gestern der Bundestag drei Stunden lang über einen Entschließungsantrag der Union, der die Mißbilligung jeglicher Gewaltanwendung zum Zie

Der Entschließungsantrag der CDU/ CSU/FDP–Koalition klingt wie ein Abschnitt aus dem künftigen Strafgesetzbuch: „Der deutsche Bundestag verurteilt jede Form der Verharmlosung, Billigung und Unterstützung von Gewalttaten und Rechtsbrüchen.“ Auf wen er zielt, läßt CDU–Generalsekretär Heiner Geißler, der sich die Anläße für seine seltenen Bundestagsreden sehr genau aussucht, nicht lange im unklaren. Zwar will er nicht behaupten, daß eine Fraktion des Bundestages die militante Politik der RAF direkt zu verantworten hat - aber die Betonung liegt eindeutig auf „direkt“. Indirekt zielt er auf die Grünen, „die Wunschpartner der SPD“, wie er immer wieder betont, und zwar auf alle Strömungen: den „Salon–Realo Schily“ attackiert er wegen seiner Einschätzung, daß in Existenzfragen auch mal die „qualitative Minderheit sich gegen die quantitaive Mehrheit“ durchsetzen müßte, bei Jutta Ditfurth und Ulla Jelpke (GAL–Hamburg) reicht ihm als Beleg für die gewaltbefürwortende Position schon die Nennung der Namen. Geißler gesteht in seiner Rede zu, daß Gewaltanwendung durchaus „sittlich erlaubt sein kann“: Als Beispiele nennt er die Attentatsversuche auf Hitler, den Sturz Somozas, den 17. Juni 1953 in der DDR und die Aktionen von Solidarnosc. „Das diente zur Abwehr langanhaltender schwerster Menschenrechtsverletzungen.“ In der BRD dagegen könne die Nutzung der Atomenergie zwar als „Überlebensfrage“ empfunden werden, aber auch das rechtfertige noch keinen Widerstand gegen den Staat, denn hierzulande gebe es einen demokratischen Rechtsstaat, den die Grünen nur in einen atomaren Zwangsstaat umzudeuten versuchten. Geißler blieb schwach Zu großer Form läuft Geißler an diesem Morgen im Bundestag nicht auf. Die von Geißler immer wieder in seine Rede eingebaute These, die Grünen besäßen eine „elitäre und selektive Moral“, sie hielten sich für die Gralshüter der Wahrheit, ist schon so oft in Broschüren und Erklärungen benutzt worden, daß sie niemanden in helle Empörung versetzt. Neu ist die Verbindung von Rechtsstaat und Sozialstaat, die Geißler sieht: Wer sich unklar zur Gewalt äußere, schade auch den Arbeitnehmern, die auf den Schutz durch den Rechtsstaat angewiesen seien. „Wer für Gewalttaten Verständnis äußert oder ihnen Beifall spendet, trägt Mitverantwortung für die Folgen“ - dieser von Geißler in seiner Rede in variierter Form vorgetragene Satz aus dem Entschließungsantrag verdeutlicht die Intention des CDU–Generalsekretärs am prägnantesten: Vor die Diskussion soll die Ausgrenzung treten. Besonnene SPD Geißler, der von der Opposition mehr Gelächter als erboste Zwischenrufe kassiert, nimmt die Ovationen der CDU/CSU– und der FDP–Fraktion gelassen hin. Nachdem der mit Spannung erwartete Eröffnungspaukenschlag so dumpf ausgefallen ist, will die kämpferische Stimmung auch bei den nachfolgenden Beiträgen kaum aufkommen. Für die SPD geht Hans Gottfried Bernrath als erster ans Redepult. Anfang der Woche hat er sich in seiner Fraktion gegen Axel Wernitz durchgesetzt und ist an dessen Stelle zum Vorsitzenden des Innenausschusses nominiert worden. Seine Replik auf Geißler fällt nicht besonders glanzvoll aus. Er wirft ihm vor, ein „Schauergemälde der Bundesrepublik gezeichnet“ zu haben. Daß Gewalttaten „besonnen und fest zu unterbinden“ sind, ist sein immer wiederkehrendes Credo, dem jeweils eine Absage an „Unmäßigkeit und Überreaktion“ folgt. Während sich das Plenum allmählich leert, auf der Kabinettsbank sitzt außer Hans Engelhard kein Minister, kritisiert er die Gewaltdebatte und den CDU/ CSU/FDP–Entschließungsantrag als Wahlkampfidee der Koalition. Anders als später sein Fraktionskollege de With spricht Bernrath die Grünen überhaupt nicht an. Konzentration kommt im Plenum erst wieder auf, als Antje Vollmer, die sich auf der Fraktionssitzung der Grünen gegen Otto Schily, Gertrud Schilling und Gerald Häfner als Rednerin durchsetzen konnte, nach vorne geht, um dort ihre Absage an „unseren sich zunehmend in Worten und auch Taten militarisierenden Widerstand“ der Nach–68er–Generation und ihr Bekenntnis zum wirksamen massenhaften und gewaltfreien Widerstand zu formulieren. Während Antje Vollmers Rede von einem weitgehend schweigsamen, zuhörenden Plenum aufgenommen wird, kocht gegen Ende der zweieinhalb Stunden dauernden Debatte bei Regula Botts Beitrag die Empörung vor allem der CDU/CSU richtig hoch. Ruhe und Ordnung „Ihnen geht es nicht um Recht und Freiheit, sondern um Ruhe und Ordnung, Gehorsam, Unterordnung, Anpassung.“ Wer, wie die CDU/CSU/FDP in ihrem Entschließungsantrag beim Wort „Demonstrationsfreiheit“ sofort an Polizeieinsätze denke, brauche nicht mehr zu erläutern, daß er den „Widerstand in die terroristische Ecke definieren“ wolle. Es gebe Widerstand gegen den Rechtsstaat, der notwendig und richtig sei, zum Beispiel Hausbesetzungen, das Verstecken von Flüchlingen und die Kampagne gegen den § 218. Von einem CDU–Abgeordneten kassierte sie dafür den Zwischenruf: „Das ist das Holz, aus dem KZ–Wächter geschnitzt sind.“ Aber auch von den Grünen gab es nur sehr spärlichen Beifall. Deren Uneinigkeit kam in der Abstimmung über einen kurzfristig von der SPD eingebrachten Antrag „Gewalt in Staat und Gesellschaft“ zum Ausdruck: Eine Reihe von Grünen–Abgeordneten stimmte dem Papier zu oder enthielt sich der Stimme. In dem Antrag heißt es: „Der deutsche Bundestag verurteilt ... mit allem Nachdruck jede Gewaltanwendung und den Rechtsbruch auch in der politischen Auseinandersetzung.“ Die „Sicherung des inneren Friedens“ wird zum politischen Ziel erklärt, und das staatliche Gewaltmonopol wird bekräftigt. Außerdem wird in dem SPD–Antrag aufgefordert, „klar zu unterscheiden zwischen Gewalttätern und Demonstranten“. Oliver Tolmein