Serie Das Autoe im Jahre 101
: Selbstmord und Auto

■ Hauptinteressenten an der Aufklärung von Selbsttötungen mit dem Auto sind die Versicherer

Selbsttötung ist in unserem Kulturkreis eine weit verbreitete Form des Lebensendes. Zwei Todesarten, die unmittelbar mit dem zentralen Fortbewegungsvehikel unserer Zivilisation verbunden sind, fallen besonders ins Auge: die Selbsttötung mit dem Auto und die Selbsttötung wegen der Autos. Das Gewalt– und Verletzungspotential, das vom Massenverkehr mit dem Automobil ausgeht, findet in der Statistik nur zum Teil Niederschlag: die letzte Ausgabe des Statistischen Jahrbuchs für die Bundesrepublik Deutschland weist für 1985 eine Zahl von 327.745 Autounfällen aus, bei denen Menschen zu Schaden kamen. 7.678 Todesfälle werden dabei verzeichnet. Diese Zahl markiert wie die Spitze eines Eisbergs die Dimension einer Bedrohung, die das Auto als Lebensrisiko ausweist. Die in welchem Maße auch immer bewußte Entscheidung zur Selbsttötung im Zusammenhang mit dem Auto ist weit schwieriger nachzuweisen. Bei einem Blick in die Statistik über die häufigsten Selbsttötungsarten rangiert das Auto unter „ferner liefen“, nach Tablettenmißbrauch, Gas, Stürzen und Erhängen. Trotzdem vermutet hauptsächlich die Versicherungswirtschaft, daß hier eine große Dunkelziffer vorliege, die es zwecks Senkung der auszuzahlenden Lebensversicherung zu erhellen gelte. Allerdings ist die Selbsttötung mit dem Auto nur selten juristisch einwandfrei nachzuweisen. Trotzdem haben sich die zuständigen Fachleute daran gemacht, einen Kriterienkatalog zu entwickeln, der die Nachweismöglichkeiten verbessern soll. Dazu gehören zum Beispiel Unfälle ohne Brems– und Schleuderspuren, die bei regennasser Fahrbahn natürlich grundsätzlich nicht zu erkennen sind. Des weiteren werden technische Mängel, Fahrtgeschwindigkeit und Gurtbenutzung untersucht. Da wird geprüft, ob das Unfallopfer vielleicht einen Herzinfarkt erlitten hat oder Rauschmittel nachgewiesen wer den können, was zwar für eine Selbsttötung sprechen kann, aber offiziell als das Gegenteil bewertet wird. Schließlich wird die Vergangenheit des Opfers durchleuchtet hinsichtlich früherer Selbsttötungsversuche. Die ganze Prozedur entfällt, sollte ein Abschiedsbrief vorliegen, das Opfer sich vor ein Auto geworfen oder mit den Abgasen seines Wagens vergiftet haben. Das „Österreichische Kuratorium für Verkehrssicherheit“ trat Anfang dieses Jahres mit der alarmierenden Botschaft an die Öffentlichkeit, daß ein erheblicher Teil der registrierten Selbsttötungen seinen Auslöser in Vorfällen rund ums Auto findet. Die Gründe, sich wegen des Autos das Leben zu nehmen, erscheinen erst einmal banal. Da bekam das Auto einen Kratzer, verlief die Führerscheinprüfung negativ oder wurde der Lappen von der Polizei kassiert. Dr. Klaus Höfner, Psychologe des Kuratoriums, macht aber auch das Umfeld verantwortlich, wenn sich jemand wegen eines Verkehrsdeliktes von dieser Welt verabschiedet. Besonders betroffen sind nach Dr. Höfner vor allem einkommensschwache junge Männer, die das Auto in hohem Maße überbewerten. Wer sich den Wagen mit großen finanziellen Schwierigkeiten erworben hat, könne den Verlust oder auch nur die Beschädigung des Vehikels mitunter nicht verkraften. Für Jugendliche im ländlichen Bereich sei auch der soziale Druck ausschlaggebend: Ohne Auto werde man am Wirtshaustisch zum Gespött, man gelte als schlechter Fahrer und auch das Mädchen liefe dann davon. Bei älteren Menschen sieht die Sache leider nicht anders aus. Wird dort der Führerschein entzogen, zählt man sich endgültig zum alten Eisen. Ohne Auto erscheint das Leben nicht mehr attraktiv. Materielle Verluste werden übrigens häufiger zum Anlaß genommen, sich umzubringen, als die Schuld an Verletzungen anderer Verkehrsteilnehmer. Nur die „andere Hälfte des Himmels“ ist offenbar davor gefeit, dem Auto freiwillig sein Leben zu opfern. Obwohl in Österreich 43 sind sie kaum bereit, wegen eines Lackschadens oder nichtbestandener Führerscheinprüfung aus dem Leben zu scheiden.