Kehraus für Schweizer Asylpolitik

■ Die Schweizer stimmen am Wochenende über Verschärfung des Asylrechts und Mitsprache der Bevölkerung bei Rüstungsausgaben ab / Gegner der Asylrechtsverschärfung machen sich jedoch keine Illusionen

Aus Genf Thomas Scheuer

Ein Genfer Bahnsteig geriet vor einigen Tagen zur Bühne für ein seltsames Schauspiel: Ein Dutzend Personen mit dunklen Bauernkutten und Zipfelmützen, entrollt im Bahnhof Cornavin ein Transparent und eine Fahne. Sofort taucht die Polizei auf, eine Demo von Asylanten witternd. Doch der Text des Spruchbandes, den die französischsprachigen Genfer Ordnungshüter für türkisch halten, wird von Sprachkundigen als Geburtstagsgruß in Schwyzer Mundart entschlüsselt; die Fahne ist diejenige des Dörfchens Kaisten im nordwestschweizerischen Kanton Aargau. Die Schein–Asylanten sind Bauern. Hätte es sich tatsächlich um Asylsuchende gehandelt, wären sie kaum bis zum Bahnsteig gekommen, sondern wären gleich in eine Baracke auf dem Flughafen– Areal geschleust worden. In diesen „Flüchtlings–Pavillon“ kommen seit letzten Juli alle in den Kanton Genf einreisenden Flüchtlinge, auch jene, die über die grüne Grenze ins Land gelangen. Der Pavillon am Ende der Piste ist das erste - eigentlich bislang illegale - „Grenztor“ der Schweiz. Dem asylpolitischen Nadelöhr werden weitere folgen, wenn an diesem Wochenende eine Mehrheit der Wahlberechtigten der Revision des Asyl– und Ausländergesetzes nicht widerspricht. Mit einem Erfolg der Asylpolitikgegner rechnet man allerdings nicht. Die Revision des erst 1981 in Kraft getretenen Asylgesetzes sieht folgende Verschärfungen vor: - Geschlossene Grenzen: Asylbegehren können nur noch an bestimmten großen Grenzübergängen, z.B. Chiasso, Basel oder Genf, eben den „Grenztoren“, eingereicht werden. - Abbau des rechtlichen Gehörs: Die Befragung von Asylsuchenden wird vorwiegend an kantonale Behörden delegiert; die zuständigen Bundesbehörden können dann nach purer Aktenlage entscheiden. - Abgewiesene Asylbewerber können bis zu 30 Tage in „Ausschaffungshaft“ kommen. Die Bewegungsfreiheit für Asylsu chende soll weiter eingeschränkt und das Arbeitsverbot verschärft werden. Vor allem aber gesteht das Gesetz der Berner Regierung, dem Bundesrat, erstmals in Friedenszeiten ein Quasi–Notstands recht zu: Er kann in - selbst erklärten - „Ausnahmesituationen“ unter Umgehung des Parlamentes das eidgenössische „Boot“ für „voll“ erklären und dann die Aufnahme weiterer Flüchtlinge generell stoppen. Die offizielle Asylpolitik hat aber auch eine beeindruckende Gegenbewegung hervorgerufen. Hilfswerke, Dritte–Welt–Gruppen und ganze Kirchengemeinden gehen in Opposition zur behörd lichen Asylpolitik und sind selbst zu illegalen Hilfeleistungen bereit. So in Bern, wo Aktivisten der „Aktion für abgewiesene Asylbewerber“ und der „ökumenischen Basisbewegung für Flüchtlinge“ von der Ausweisung bedrohte Tamilen verstecken. Die Initiierung einer Volksabstimmung über die Asylrechtsverschärfung war innerhalb der Asyl– Bewegung sehr umstritten, zumal man sich über den Ausgang der Abstimmung keinen Illusionen hingab. Durch einen negativen Ausgang des Plebiszites, warnen die Kritiker, könnten sich die Behörden und die Befürworter einer restriktiven Asylpolitik dann ausdrücklich vom Volkswillen angespornt sehen. Doch andererseits wäre der Verzicht auf das Referendum, so Ruedi Tobler, Präsident des Schweizerischen Friedensrates, „die schlimmste Form von Resignation“ gewesen. Man wollte die Verschärfung des Asylgesetzes nicht schweigend hinnehmen, vielmehr die Existenz einer „anderen, einer offenen und solidarischen Schweiz“ dokumentieren. An die Substanz schweizerischer Identität geht eine von der Sozialdemokratischen Partei lancierte Initiative „Für die Mitsprache des Volkes bei Militärausgaben“, über die ebenfalls an diesem Wochenende abgestimmt wird: Die Sozis wollen das Volk über Rüstungsausgaben abstimmen lassen. Warum, so fragen die Befürworter der Initiative, sollen die Bürger eines Landes, dessen Verteidigungskonzept (Milizarmee) wie kaum eines auf der Verankerung in der Bevölkerung basiert, nicht über die Militärausgaben entscheiden dürfen? Wieso soll die Demokratie vor der Armee halt machen? Daß es den Initiatoren des Rüstungs–Referendums, so die Gegner, gar nicht um mehr Demokratie gehe, sondern um einen hinterhältigen Anschlag auf die Wehrfähigkeit, um die Schwächung der Armee, beweise schon die Tatsache, daß sie das Finanzreferendum nur für die Armee, keineswegs aber für andere Bereiche wie etwa das Bildungswesen oder die Entwicklungshilfe verlangten. Tatsächlich würde ein drohendes Referendum, für das ja nur 50.000 Unterschriften gesammelt werden müssen, die Regierungs– und Militär–Spitze der Alpenrepublik bei Rüstungsvorhaben wohl von vorneherein etwas behutsamer stimmen. Der Mythos der „bewaffneten Neutralität“ des Kleinstaates Schweiz inmitten einer überrüsteten Umwelt läßt sich sowieso immer mühsamer aufrechterhalten. Bei den großen Rüstungsprojekten der vergangenen Jahre schimmerten denn auch immer ökonomische Interessen durch, wurde vor allem das beliebte Arbeitsplatz–Argument strapaziert. So kostet die Lizenzproduktion von 420 Leopard–Panzern den Schweizer Steuerzahler doppelt so viel, als wenn die Tanks bei Krauss–Maffei in München ab Band gekauft worden wären.