Nicaraguas Lohn–Preis–Spirale in Bewegung

■ Beschlossene Lohnverdoppelung schon vor Inkrafttreten von den hochgeschnellten Preisen aufgezehrt / Zusätzlich „sozialer Lohn“ in Form von Lebensmittelhilfen, doch wo Güter knapp sind, hilft nur der Schwarzmarkt / Weitere Lohnerhöhungen in Aussicht gestellt

Aus Managua Ralf Leonhard

In Nicaragua sind mit 1. April die Löhne und Gehälter verdoppelt worden. Vorher jedoch waren auch die Preise in die Höhe geschnellt. Seit der letzten Gehaltsanpassung vor fast einem Jahr hat der „Cordoba“ nach offiziellen Statistiken fast 700 Prozent an Kaufkraft verloren. Die Regierung hatte bisher Lohnerhöhungen wegen ihres inflationstreibenden Effekts so lange wie möglich hinausgeschoben und durch eine Anzahl von Maßnahmen umgangen. So wurden etwa finanzielle Anreize nicht nur für Akkordlohn ausgezahlt, sondern zum Beispiel auch schon für pünktlisches Erscheinen am Arbeitsplatz (was bei den herrschenden Transportverhältnissen gar nicht so einfach ist). Die notorisch unterbezahlten Lehrer, die zuhauf in den informellen Sektor abgewandert waren, sind in der Lohnskala hinaufgestuft worden. Wichtigstes Element in der gegenwärtigen Lohn–Preis–Strategie ist jedoch der „soziale Lohn“, die Versorgung der Arbeiter mit preisgestützten Lebensmitteln und Textilien. Arbeiter und Angestellte sind schon vor fast zwei Jahren in vier Kategorien unterteilt worden, die zu einer unterschiedlich umfangreichen Produktpalette Zugang haben. Kategorie I, für die Land arbeiter, hat das beste Angebot. Dann folgen Industriearbeiter, Angestellte des Erziehungs– und Gesundheitswesens und in Kategorie IV schließlich alle übrigen Angestellten. Letztere bekommen nur Seife, Klopapier und Damenbinden zum Sonderpreis. Unabhängig davon hat jede Familie Anspruch auf eine Ration Reis, Speiseöl, Zucker, Bohnen und Waschmittel. Die Zuteilungen sind jedoch knapp und nicht jeden Monat sind alle Produkte ausreichend vorhanden. Fast alle müssen daher auf den Schwarzmarkt ausweichen, um ihre Familie zu ernähren. Die Gehälter waren also völlig unzureichend und sind auch nach der Verdopplung noch äußerst knapp. Das Mindesteinkommen beträgt nun 21.300 Cordobas, dafür bekommt man in der Wechselstube gerade noch sieben US–Dollar, auf dem Schwarzmarkt sogar nur vier. Spitzenverdiener werden ab jetzt 171.400 Cordobas nach Hause bringen, also umgerechnet 57 Dollar beziehungsweise 34. Ein Pfund Butter kostet derzeit 2.000 bis 4.000 Cordobas, ein Kilo Reis 1.500, eine Hose made in Nicaragua ca. 7.000 Cordobas, ein paar ausländische Markenjeans um die 200.000. Gleichzeitig sind auch in den Restaurants neue Tarife in Kraft getreten: Ein saftiges Steak im Luxusrestaurant ist nun für 20.000 Cordobas plus 15 Prozent Steuer und zehn Prozent Trinkgeld zu haben. Das ist mehr als doppelt soviel wie bisher. Der Preissalto wurde von Tourismusminister damit gerechtfertigt, daß die Restaurants jetzt Reis und Speiseöl, die allgemein knapp sind, importieren müssen. Fein– Essen–Gehen bleibt also weiter ein Privileg der dollarschweren Ausländer. Arbeitsminister Benedicto Meneses hat periodische Lohnanpassungen „gemäß der Effizienz, der Produktivität und dem Kaufkraftverlust“ in Aussicht gestellt. Denn auch die jüngste Lohnerhöhung wird mit Sicherheit in einem Monat von der Inflation wieder aufgefressen sein.