„Abtreibungen dienten der Bedarfsdeckung“

■ Prozeß wegen illegaler Schwangerschaftsabbrüche / Patientinnen wurden ohne ihre ausdrückliche Zustimmung sterilisiert / Eine Frau starb an den Folgen des Eingriffs / Der Angeklagte war jahrelang der einzige Arzt in Nürnberg, der Abtreibungen ausführte

Aus Nürnberg Wolfgang Gast

„14 Jahre war ich alleine hier“, sagte Dr. Ferdinando Peselli, Mitglied der italienischen Ehrenlegion und Frauenarzt in Nürnberg. Seit dem 29.4.1986 sitzt er in Untersuchungshaft. Mit „alleine hier“ meint er, daß er zwischen 1971 und 1984 in Nürnberg und Umgebung der einzige Arzt gewesen ist, der regelmäßig Abtreibungen vorgenommen hat. Nach seinen eigenen Angaben insgesamt zwischen zehn–und fünfzehntausend. Seit Montag, dem 30. März 1987 steht er nun in Nürnberg vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, in insgesamt 96 Fällen die Schwangerschaftsabbrüche ohne gültige Indikation vorgenommen zu haben. Weiterhin soll er dabei den betroffenen Frauen gegen ihren Willen wiederholt die Spirale eingesetzt oder sie ohne ihre ausdrückliche Zustimmung sterilisiert haben. In fast allen Fällen wirft ihm der Staatsanwalt groben Pfusch bei seiner ärztlichen Tätigkeit vor. Im Anschluß an einen unsachgemäß ausgeführten Schwangerschaftsabbruch verstarb im September 1984 eine 34jährige an den Folgen einer Lungenembolie. Eine andere Pa tientin wurde bei dem Eingriff derart verletzt, daß sie seitdem mit einem künstlichen Darmausgang leben muß. Die Spiralen, die den Frauen unmittelbar nach der Abtreibung eingesetzt wurden, gingen in der Praxis des Arztes zum Teil schwarz durch die Bücher. Auf diese Art soll Peselli 224.000 Mark Steuern hinterzogen haben. Unhygienische Bedingungen Beschwerden gegen das Treiben des Gynäkologen gab es schon 1980. Mehrere Arzthelferinnen, die in der Praxis des Angeklagten beschäftigt waren, meldeten sich bei der Kassenärztlichen Vereinigung und monierten die Arbeit des Arztes. In einem Brief an die Vereinigung teilten sie mit, die hygienischen Bedingungen bei Peselli seien mit einer ärztlichen Praxis nicht vereinbar. Eine Artzhelferin sagte jetzt vor Gericht aus, Peselli habe beispielsweise mit der Zigarette in der Hand die Untersuchungen durchgeführt. Die Schwangerschaftsabbrüche seien in der Regel davon abhängig gemacht worden, daß die Frauen einer Sterilisation oder dem Einsetzen einer Spirale zustimmten. Als Legitimation sei eine „Einverständniserklärung“ mit dem aufgedruckten Zusatz „+ Spirale“ verwendet worden, die die Frauen unterschreiben mußten. 1982 wandte sich dann der Gynäkologe Dr. Kook an den Nürnberger Prüfarzt der Kassenärztlichen Vereinigung, Dr. Scharff, und bestätigte die Vorwürfe. Standesdenken der Ärzteschaft Vor dem Nürnberger Schwurgericht sagte Dr. Scharff jetzt aus, bereits 1974 hätte die Kassenärztliche Vereinigung verstärkt Schwierigkeiten mit den Abrechunungen Pesellis gehabt. 1982 seien dann schließlich die Klagen anderer Frauenärzte „sehr massiv“ geworden. Dr. Kook habe sich an ihn gewandt und mitgeteilt, „bei Peselli finden Dinge statt, die nicht mit rechten Dingen zugehen“. Als Dr. Scharff der Sache nachging, eckte er bald am Standesdenken der Ärztschaft an. „Man könne doch froh sein, daß es einen gibt, der solche Dinge macht“, erklärte ihm der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Mittelfranken in einem Gespräch am 18.11.1983. Sein Stellvertreter meinte weiter, daß man es nicht gerne sehe, daß der Prüfarzt sich in dieser Abtreibungssache so engagiere. Bereits zu dieser Zeit ermittelte die Staatsanwaltschaft und teilte dem Nürnberger Gesundheitsamt mit, an die 60 Schwangerschaftsunterbrechungen durch Peselli würden überprüft. Bei der Kassenärztlichen Vereinigung waren zu dieser Zeit 2.000 abgerechnete Abbrüche bekannt. Trotzdem wurde der ermittelnden Kriminalpolizei mitgeteilt, Beschwerden gegen Dr. Peselli seien nicht bekannt. Widersprüchliches Verhalten Widersprüchlich bleibt das Verhalten der Ärzteschaft gegen Peselli. Während auf der einen Seite etliche Mediziner dem Prozeß im Zuschauerraum folgen, distanziert man sich offiziell. „Peselli? Ich weiß nichts, überhaupt nichts. Wir unterhalten uns möglichst nicht darüber“, so der jetzige Vorsitzende des ärztlichen Kreisverbandes gegenüber der Presse. Dabei ist allen bekannt, daß Peselli in Nürnberg das machte, was seine deutschen Kollegen nicht machen konnten oder aber nicht wollten. Jahrelang gab es in Nürnberg nur zwei Mediziner, die als Belegärzte in Privatkliniken Abtreibungen vornahmen. Peselli erklärt vor Gericht entsprechend, die von ihm vorgenommen Abtreibungen „dienten der Bedarfsdeckung“. Vorwürfe zurückgewiesen Die Vorwürfe des Staatsanwaltes Kramer weist Peselli zurück. Seine Patientinnen habe er sorgfältig vor der Operation untersucht. Sein Vorgehen bei den Schwangeschaftsunterbrechungen sei durch die Fachliteratur abgesichert. Nie habe er die Abtreibung von einer Sterilisation oder dem Einsetzten einer Spirale abhängig gemacht. Lediglich dazu geraten habe er, denn „die Prophylaxe ist wesentlich wichtiger als die Abtreibung“. Das Verfahren wird mit der Vernehmung von Gutachtern fortgesetzt.