Keine Alternative zu Mubarak

■ In Ägypten werden mit den heutigen Parlamentswahlen die Weichen für eine zweite Amtszeit des Präsidenten gestellt / Die Opposition ist zersplittert Die Probleme bleiben: Arbeitslosigkeit, Außenverschuldung und die hohe Geburtenrate / „Mubarak hat nurmehr die bittere Wirklichkeit zu bieten“

Von Walter Saller

Zu Staatspräsident Mubarak gibt es keine Alternative. Das wissen auch die führenden Oppositionspolitiker in Ägypten. Und sogar von seinen vehementesten Gegnern wird ihm zugestanden, daß er das Land demokratischen Verhältnissen öffnen will und keine Rückgriffe auf diktatorische Maßnahmen plant. Dennoch hat Mubarak Mitte Februar per Referendum über die Auflösung der erst im Mai 1984 gewählten Volksversammlung abstimmen lassen und für den heutigen 6. April Neuwahlen angesetzt. Er möchte beizeiten dafür sorgen, daß seiner Nominierung für eine zweite Präsidentschaftsperiode durch das Parlament im Herbst nichts im Wege steht. Die Opposition hatte die letzten Wahlen im Jahre 1984 als gefälscht bezeichnet und eine Klage gegen die Acht–Prozent–Klausel angestrengt, die in erster Instanz erfolgreich war. Zweifel an Mubaraks Berechtigung für eine neuerliche Kandidatur sollen diesmal erst gar nicht aufkommen. Am überwältigenden Sieg Mubaraks, dessen National–Demokratische Partei (NDP) 1984 von den 448 Parlamentsmandaten 390 errang, zweifelt niemand. Erstmals durften damals auch die Oppositionsparteien teilnehmen. Doch wegen der Einführung einer Acht–Prozent–Hürde glückte neben der NDP nur der Gemeinschaftsliste von Neo–Wafd und Moslembruderschaft mit 58 Sitzen der Einzug ins Parlament. Mubarak machte allerdings von seinem Recht gebrauch, für fünf der zehn Sitze, die er nach eigenem Ermessen besetzen kann, Abgeordnete der linken Opposition zu nominieren. Vier Mandate fielen so auf die Sozialistische Partei der Arbeit (SPA), ein Mandat bekam die National– Progressive Unionistische Sammlungsbewegung (Tajammu) zugesprochen. Enttäuschte Hoffnungen der Opposition Nach den vergleichsweise fairen Wahlen vom Mai 1984 hoffte die ägyptische Opposition, ihren Einfluß allmählich weiter auszubauen. Doch schon im Vorfeld der heutigen Abstimmung schrumpfte der Optimismus gewaltig. Ihre desolate innere Verfassung und ein beschränkter Zugang zum staatlichen Rundfunk und Fernsehen, die auch die Analphabeten (nach Schätzungen 56 Prozent der Bevölkerung) erreichen, machten den kleinen Parteien schon immer zu schaffen. Dann platzte auch noch die gemeinsame Kandidatenliste aller fünf Oppositionsparteien - man wollte der leidigen Acht–Prozent– Klausel ein Schnippchen schlagen - durch das Ausscheren der Neo– Wafd–Führung, die als einzige über einen festen Wählerstamm verfügt. Damit mußten alle Hoffnungen auf eine bedeutsame politische Rolle begraben werden. Daher ist absehbar, daß das Parlament im Oktober Mubarak als einzigen Kandidaten für eine zweite Präsidentschaft aufstellen wird. Nach seiner absehbaren Wiederwahl wird Mubarak ein schweres Erbe weiterführen müssen. Außenpolitische Konstante bleibt der Friedensvertrag mit Israel und - aus finanziellen Gründen - die enge Freundschaft mit den USA. Eine Freundschaft, die sich aus ägyptischer Sicht als eine einzige Serie von Nackenschlägen darstellt: von der Achille–Lauro–Affäre über knappe Wirtschaftshilfe und die US–Hochzinspolitik, von den US–Waffenlieferungen an Iran bis zu den CIA–Plänen einer Invasion Libyens. Doch nur um in das reichlich zersplitterte arabische Lager zurückkehren zu können, wird Mubarak weder den Separatfrieden mit Israel noch die westlichen Kredite riskieren. Einen bescheidenen außenpolitischen Erfolg konnte der Präsident nur beim islamischen Gipfel in Kuwait verbuchen. Als dann aber von einer Wiederannäherung zwischen Mubarak und Syriens Präsident Assad die Rede war, ließ der sofort dementieren. „Zeit der Ernüchterung“ In den zurückliegenden Amtsjahren gelang es Mubarak, das innenpolitische Klima zumindest etwas abzukühlen. Von Ende 1981 an setzte er inhaftierte Oppositionspolitiker, Journalisten, In tellektuelle und die meisten der christlich–koptischen und der islamischen Aktivisten auf freien Fuß. Doch Wirtschaftsmisere und marode Staatsfinanzen bekam auch er nicht in den Griff. Von Sadats „Infitah“, jener Politik der „Öffnung“, die auf Privatwirtschaft, Westkapital und eine enge politische Verbindung mit den USA setzte, hat nur eine schmale Schicht von gewitzten Spekulanten aller Sparten profitiert, die „fetten Katzen“, wie sie der ägyptische Volksmund in Anspielung auf das räuberische Naturell dieser Tiere nennt. Eine „Zeit der Ernüchterung“ nennt Salama Ahmed Salama, der stellvertretende Chefredakteur der halbamtlichen Zeitung Al– Ahram, die gegenwärtige innenpolitische Lage. „Sadat, der Schauspieler und Spektakelmacher, konnte sein Volk immer noch mit Versprechungen von Frieden und Wohlstand betören, Mubarak hat nurmehr bittere Wirklichkeit zu bieten.“ Bitter sind die ägyptischen Realitäten allemal. Gut 60 Prozent aller Nahrungsmittel müssen importiert werden. Das Zahlungsbi lanzdefizit beläuft sich auf vier Milliarden Dollar. Die Auslandsverschuldung hat mit 38 Milliarden Dollar schwindelerregende Höhen erreicht und der jährliche Schuldendienst von mehr als drei Milliarden Dollar frißt die Hälfte der Exportdevisen. Dabei sinken die Haupteinkünfte des Staates ständig: Ölförderung, Überweisungen der vier Millionen Gastarbeiter in den Golfstaaten, Suez– Kanalgebühren und der Tourismus. Alle acht Monate eine Million Menschen mehr Die Ölpreise fielen zeitweise unter die Zehn–Dollar–Marke. Einige hunderttausend Gastarbeiter kehrten aus der Golfregion zurück und vermehrten das heimische Arbeitslosenheer. Der stagnierende Welthandel wirkte sich auf das Gebührenaufkommen des Suez–Kanals aus, und eine regelrechte Terroristenpsychose vor allem in den USA hinterließ eine touristische Wüste. Verschärft wird die Lage durch eine galoppierende demographische Entwicklung. Im Oktober 1986 zählte die ägyptische Bevölkerung 51 Millionen Menschen. Bei einer geschätzten Zuwachsrate von jährlich 2,7 Prozent wächst die Einwohnerzahl etwa alle acht Monate um eine weitere Million. Wirtschaftssituation und soziale Stabilität sind auch am Nil eng miteinander verzahnt. Bei allen Unruhen und Revolten - von der „Hungerrebellion“ 1977 nach einer Erhöhung des Brotpreises bis zum Aufstand der Bereitschaftspolizei im Februar 1986 - bildeten stets ökonomische Engpässe den Hintergrund. Zwar profitieren von sozialen Unruhen in erster Linie die radikalen Moslems, eine fatale Hinterlassenschaft der früheren Präsidenten Sadat, der die bärtigen Koranstreiter als Gegengewicht zu Nasseristen und Linken mindestens duldete; doch von wirklichen Aussichten auf eine Machtübernahme durch die Fundamentalisten, die in mehr als 50 Gruppierungen zersplittert sind, kann keine Rede sein. So lange jedenfalls nicht, wie Verteidigungsminister Abu Ghazala und die Armee loyal zu Mubarak stehen.