P O R T R A I T Als Befreier vor Bergen–Belsen

■ Der jetzige israelische Staatspräsident Chaim Herzog war während des Zweiten Weltkrieges als britischer Offizier in Deutschland

Die Laufbahn Chaim Herzogs prädestiniert ihn geradezu für sein heutiges Amt als Präsident des Staates Israel. Sein Werdegang umfaßt Geheimdienst und Militär ebenso wie die Diplomatie und die Wirtschaft. Vor 64 Jahren wurde er im nordirischen Belfast als Sohn eines Rabbiners und späteren Oberrabbiners von Israel geboren. In seiner Jugend errang er erste Lorbeeren als Amateur–Boxchampion in der irischen Hauptstadt Dublin. Er studierte nicht nur im renommierten britischen Cambridge Jura, sondern auch in der Yeshiva von Hebron auf dem Jordan– Westufer, einem orthodox–religiösen Seminar. Anschließend ließ er sich in Großbritannien als Anwalt nieder und diente im Zweiten Weltkrieg in der britischen Armee als Oberstleutnant des Geheimdienstes. Wie Herzog kürzlich in einem von dpa verbreiteten Rundfunkinterview berichtete, kämpfte er während der letzten sechs Kriegsmonate mit der britischen Armee in Deutschland. Nach Kriegsende sei er noch rund anderthalb Jahre geblieben. Während der Befreiung des Konzentrationslagers Bergen– Belsen, eine der Stationen des Staatsbesuchs, habe er sich mit den britischen Streitkräften auf der Vormarschlinie Wesel–Bremen befunden. Ein Paar Tage später sei er nach Bergen– Belsen gereist, wo inzwischen die Aufräumungsarbeiten begonnen hatten. „Das hat bei mir einen erschütternden Eindruck hin terlassen, den ich in meinem Leben nicht vergessen werde“, sagte er. Kurz danach traf Herzog nach eigener Darstellung in Bergen–Belsen auf den inzwischen verhafteten „Reichsführer SS“ Heinrich Himmler, der gerade von einer britischen Sondereinheit verhört wurde. Er machte auf ihn den Eindruck „eines kleinen Mannes, den du jederzeit auf der Straße antriffst“. Herzog fügte jedoch hinzu: „Bis zu dem Augenblick, wo du ihm in die Augen geschaut hast. Sie waren aus Stahl, nicht die Augen eines Menschen. Von dem Augenblick an, wo du wußtest, um wen es sich handelte, konntest du nicht mehr objektiv sein.“ Herzog, der nach eigener Darstellung Deutsch versteht und „mit sehr vielen Fehlern“ spricht, war einer der ersten israelischen Offiziere, die 1958 der Bundeswehr einen Besuch abstatteten. Später besuchte er als Industrievertreter oder als Anwalt unter anderem auch die Textilmesse und die Buchmesse in Frankfurt. Nach dem Krieg machte Herzog in Israel eine steile Karriere. Er leitete zunächst die Sicherheitsabteilung der Einwanderungsbehörde „Jewish Agency“ und hielt die Verbindung zur britischen Mandatsmacht. Nach der Unabhängigkeit im Jahre 1948 avancierte er zum stellvertretenden Chef des militärischen Geheimdienstes. Seine nächsten Stationen waren die Posten des Militärattachees an der israelischen Botschaft in Washington und des Militärkommandanten des Jerusalem–Distrikts sowie der Südfront. Als General kehrte er 1952 auf seinen alten Posten im Geheimdienst zurück und blieb dort bis 1962. Er ist Autor mehrerer Bücher über militärische Fragen. In den beiden Kriegen von 1967 und 1973 hatte Herzog als offizieller politisch–militärischer Chefkommentator von Rundfunk und Fernsehen eine einflußreiche Stellung inne. Als ausgezeichneter Propagandist wechelte er anschließend (bis 1978) als Israels UNO–Vertreter nach New York über. Herzog gilt als orthodox–religiös. Er erhielt die Ehrendoktorwürde der religiösen Unversität Bar Ilan in Israel, der Yeshiwa– University und des Jewish Theological Seminary in New York. Er schickte seine Kinder, eine Tochter und drei Söhne, auf religiöse Schulen. Als Rechtsanwalt und einflußreicher Politiker saß Herzog in den Aufsichtsräten zahlreicher großer Firmen und Banken und vertrat die finanziellen Interessen wohlhabender, aus Großbritannien eingewanderter Juden in Israel. Im Jahr 1981 zog Herzog als Mitglied der Arbeiterpartei in die Knesset, das israelische Parlament, ein. Innerhalb der Partei wird er eher zu den „Falken“ gerechnet. Vor vier Jahren wurde er zum Staatspräsidenten gewählt. Seit einem Jahr lernt er Arabisch. Kritiker werfen ihm vor, er neige dazu, seinen jetzigen, eher repräsentativen Posten über das bisher übliche Maß hinaus für umstrittene politische Interventionen zu mißbrauchen. Auf seine Weise ist Herzog ein „Aktivist“ und eifriger Kämpfer. Bei seinem Besuch in der Bundesrepublik wird er sicher wieder unter Beweis stellen, daß er ein sehr versierter Kommunikator und Virtuose auf dem Gebiet der Public Relations ist. Amos Wollin