I N T E R V I E W Die Grünen Siziliens und die „Ehrenwerte Gesellschaft“

■ In Sizilien geraten Umweltschützer unter den Beschuß der Mafia / Ein Gespräch mit dem Grünen Pippo Onufrio

Pippo Onufrio, 29, Physiker aus Palermo, ist Italiens erster Grüner, dem die Behörden eine eigene Polizeieskorte stellen mußten: Zuerst ohrfeigte ihn öffentlich eine ehemalige grüne Stadträtin, die zur Pressesprecherin einer anrüchigen Baufirma geworden war, dann bekam er so viele Morddrohungen, daß ihn fortan drei Zivilschützer begleiten mußten. Außer bei den Grünen arbeitet Onufrio in allen großen Umweltschutzverbänden Italiens mit. taz: Pippo, was heißt es, in Sizilien ein Grüner zu sein? Onufrio: Man muß da unterscheiden zwischen grüner Politik in einer großen Stadt wie Palermo und grüner Politik in anderen Zonen der Insel. Hier in Palermo haben wir zwei grundsätzliche Probleme. Erstens gibt es hier eine enorme Ungleichheit der sozialen Schichten, wie man sie sonst nirgends in Italien findet. Eine Armut und Marginalisierung bei tausenden von Menschen, die weder der Katholizismus noch die Linke jemals mit realisierbaren Plänen angegangen haben; das bedingt, daß viele nur damit beschäftigt sind, sich ums Überleben zu kümmern. Das zweite ist das Umweltproblem. Sizilien ist kaum industrialisiert - und dennoch eine der am stärksten ökologisch geschädigten Zonen des Landes. Wodurch? Da sind wieder mehrere Faktoren, die man sich in anderen Ländern kaum vorstel len kann. So ist z.B. ein riesiger Teil der doch so fruchtbaren Insel heute völlig verlassen, die Felder und Wälder verkommen. Andererseits aber wird die Nutzung von Natur und Erde dort, wo sie betrieben wird, nur als Raubzug durchgeführt. Wir stehen hier vor der aktuellen Situation, daß gerade dort, wo Geld für die Nutzung der Felder oder den Aufbau einer modernen Wirtschaft angekommen sind, die Zerstörung am größten ist: Die herrschende Klasse hat alles vereinnahmt, ohne irgendwelche Strukturen zu schaffen, die auch nur das Überleben der Menschen hier garantieren würde. Wie zeigt sich das? Hier in Palermo an jeder Ecke. Auf den Märkten, die den Touristen so schön und prall gefüllt mit Lebensmitteln erscheinen, ist außer den Orangen nichts mehr von der Insel selbst; Fisch kommt ebenso aus dem Ausland wie das meiste Obst und Gemüse. Die Fischgründe z.B. sind leergeräumt, weil die großen Flotten mit den Geldern der Regierung nicht Kultivierung der Fanggründe betrieben, sondern Dynamit gekauft haben, um mit Wasserbomben bequemer zu fischen. Auch Wasser ist hier längst Mangelware, alles verschmutzt oder verseucht. Was läßt sich dagegen unternehmen? Da kommen wir nun an den heikelsten aller Punkte. Denn ob du beim Meer oder beim Agrarsektor anfängst, im Bauwesen, das von Spekulanten beherrscht wird, oder in der Administration: Stets hast du hier sofort einen Gegner, der dir notfalls nicht nur mit Drohungen begegnet, sondern mit schwerer Körperverletzung oder gar Mord: die Mafia. Wie spielt die da mit? Daß mafiose Firmen mächtige Interessen z.B. im Bausektor haben und wenig Rücksicht auf Umweltfragen nehmen, ist bekannt. Es geht aber nicht nur um die große Mafia, sondern auch um das alltägliche mafiose oder paramafiose Verhalten vieler Menschen. Was heißt das? Politik, aber auch jede Art administrativer oder auch geschäftlicher Entscheidung ist hier in einer geradezu unvorstellbaren Weise personalisiert. Was auch geschieht - es bindet sich nicht an Sachentscheidungen an, sondern an Personen. Du kannst hier selbst bedeutungslose Angelegenheiten nicht vernünftig durchsprechen. Wenn du sagst, daß ein Projekt umweltschädlich ist, erhältst du keine Gegenargumente, sondern Drohungen, weil du angeblich die Ehrenhaftigkeit von irgendjemanden in Zweifel gezogen hast. Kritik wird grundsätzlich so verstanden, als wolltest du jemandem seine Lebensgrundlage entziehen. Und je mächtiger einer ist, umso böser kann er natürlich reagieren. Gewalt ist integrierter Bestandteil dieses Denkens. Aufgrund dieser Personalisierung ist übrigens auch die böse Auseinandersetzung innerhalb unserer Grünen entstanden, die dann zur Ohrfeige geführt hat. Worum ging es? Es ging um die Sanierung der Strandzone von Palermo, an der seit Jahrzehnten herumgemacht wird. Das Projekt wurde ausgeschrieben, ein Riesenhaufen Geld dafür ausgegeben. Erste Merkwürdigkeit: Obwohl es viele dafür taugliche Firmen und Architekten gibt und obwohl alle hinter Geld her sind, hat sich nur eine einzige Firma beworben, die SAILEM. Die will nun die Küste weitgehend zubetonieren, teilweise müßte man dafür wohl mehr als hundert Meter tief Zementwände absenken. Daß der SAILEM–Vorschlag auf unsere Kritik stoßen würde, war vorauszusehen. Doch da passierte die zweite Merkwürdigkeit: Ausgerechnet unsere bis vor kurzem amtierende grüne Stadträtin legte ihr Mandat nieder und wurde Pressesprecherin der SAILEM. Ich habe daraufhin in einem zugegeben harten Flugblatt gefragt, ob denn in dieser Stadt sich jedes positive Faktum - gemeint war die Wahl Grüner in die Stadtregierung - ins Gegenteil verkehrt. Und da kams denn zur Ohrfeige und nachfolgend den Morddrohungen. Was wirst Du machen? Weitermachen. Möglichst ohne Polizeiagenten hinter mir. Denn die machen mich nervöser als die Morddrohungen selbst. Das Interview führte Werner Raith