Sterilisation für Behinderte

■ Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie (DGSP) protestiert gegen Richtlinien der Bundesärztekammer / Sterilisation für geistig Behinderte im „rechtsfreien Raum“

Von Klaus Hartung

Berlin (taz) - Harte Vorwürfe erhob am Montag die Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie (DGSP) gegen die Bundesärztekammer: „Zynisch“ sei sie und „menschenverachtend“. Sie wolle ein neues Erbgesundheitsgesetz einführen. Anlaß sind die Richtlinien über die „Zulässigkeit einer Sterilisation aus eugenischer und sozialer Indikation“, die die Bundesärztekammer im Januar dieses Jahres im Bundesärzteblatt veröffentlichte. Die Bundesärztekammer argumentiert damit, daß es „immer wieder“ Unsicherheit bei den Ärzten gebe, weil die Sterilisation von „geistig Behinderten“ ein „strafrechtlich und berufrechtlich rechtsfreier Raum“ sei. Im ersten Punkt dieser Richtlinien wird Ste rilisation mit dem „wohlverstandenen Interesse“ der „geistig Behinderten“ begründet und vorgeschlagen, den Kreis der Betroffenen analog dem § 218a zu definieren. Dieser Vorschlag läßt unter den Tisch fallen, daß zur Abtreibung der freie Wille schließlich Voraussetzung ist. „Bei gegebener Einsichtsfähigkeit“ soll demzufolge keine Sterilisation stattfinden, betont der Punkt 2 ausdrücklich. Bei mangelnder Einsichtsfähigkeit wird dementsprechend eine Sterilisation gegen den Willen für erlaubt erklärt, wenn ein aktuelles psychiatrisches Gutachten und die Zustimmung des Vormunds vorliegt. Gerade diese Formulierung bewegt sich nicht im „rechtsfreien Raum“, sondern ist exakt strafrechtlich relevant und widerspricht höchstrichterlicher Rechtssprechung, wonach eine Sterilisation beim Fehlen einer sogenannten „natürlichen Einsichtsfähigkeit“ den Tatbestand der Körperverletzung erfüllt. So die Berliner Staatsanwaltschaft nach einem parlamentarischen Hearing in 15 Fällen, alles Fälle, in denen Eltern oder Vormünder die Sterilisation beantragt hatten. Aber die Bundesärztekammer verführt Ärzte nicht zur Kollision mit geltendem Recht: Im 8. Punkt sollen die Indikationen aus dem § 218a ausdrücklich auch auf Männer ausgedehnt werden. Damit ist dann das „wohlverstandene Interesse“ der Betroffenen nun nicht mehr wichtig, und man ist bei allgemeiner Prävention und Eugenik angelangt, kurz bei dem „Erbgesundheitsgesetz“ aus dem Jahre 1933.