The day after: Hessen nach dem Fall

■ Im Spektrum der Ex–Regierungsparteien geht die Angst um / Wird Hessen zur Bastion der Reaktion?

Wiesbaden (taz) - Ob sich der Landtagsabgeordnete Hans Krollmann zur Feier des rabenschwarzen Tages aus Trotz eine grüne Krawatte um den Hals gebunden hatte, war auf der ersten Pressekonferenz der hessischen SPD–Spitze nach der Wahlniederlage am Sonntag nicht zu erfahren. Doch daß der Katzenjammer groß ist bei den Sozialdemokraten, stand außer Zweifel. Krollmann, der gerne Ministerpräsident des Landes geworden wäre, muß jetzt - falls die Fraktion heute dem Vorschlag des Landesvorstandes folgen sollte - als Fraktionsführer auf der harten Oppositionsbank Platz nehmen. Von zehn Uhr morgens an tagte der SPD–Landesvorstand, ergänzt durch die Bezirksvorstände pausenlos, denn die Oppositionsrolle ist für die hessische SPD ein Novum. Seit Gründung des Bundeslandes saßen die Sozialdemokraten in Hessen an den Schalthebeln der Macht. Tränen gab es bereits in der Nacht zum Montag bei denen, die Minister waren und jetzt nur noch schlichte Abgeordnete sind. Entsprechend offen wurde die „verheerende Niederlage“ im Landesvorstand der Sozialdemokraten analysiert. Als zentrales Problem, so Hans Krollmann, habe sich bei nicht wenigen Genossen die Koalitionsaussage zugunsten der Grünen herauskristallisiert. Selbst „dezidierte SPD–Anhänger“ seien mit der Option auf die Fortsetzung der rot–grünen Koali tion nicht zurechtgekommen. Diese Wähler seien entweder zu Hause geblieben oder hätten der Union ihre Stimme „geliehen“. Auf der anderen Seite seien Abwanderungen zu den Grünen zu registrieren, denn in der Plutoniumfrage - in Verbindung mit dem übereilten Koalitionsbruch - „haben wir dilettantisch gehandelt“. Auf die Frage, ob es innerhalb des Landesvorstandes - „wg.“ Koalitionsbruch - Schuldzuweisungen gegeben habe, meinte Krollmann: „Ja, aber Holger Börner war kein einsamer Täter.“ Die SPD als Partei habe zur Kenntnis zu nehmen, daß es etwa 30 40 nicht mehr in das überholte Schema der Partei oder auch der Gewerkschaften hineingepreßt werden könnten. Die Verluste auch in klassischen Arbeiterrevieren, wie etwa in der Opelstadt Rüsselsheim „oder auch und gerade in Hanau“, seien Beleg für einen gesellschaftlichen Umbruch. Krollmann: „Es gibt zur Zeit keine Mehrheit links von der Mitte.“ Doch genauso gebe es das „Dilemma der Mitte“, so Krollmann, denn jede Koalitionsaussage - ob zugunsten der Grünen oder zugunsten der FDP - berge die bekannten Mobilisierungsprobleme. Und das Streben nach der absoluten Mehrheit? Mit dieser unglaubwürdigen Strategie, so Krollmann, sei bereits Johannes Rau gescheitert. Rot–Grün sei jedenfalls zunächst einmal „reine Träumerei“, denn Rot–Grün, das müsse sich auch rechnen. Krollmanns Fazit: „Für die SPD stellt sich die Frage nach der Koalitionsfähigkeit auch mit anderen Parteien.“ Wallmann–Wende Ist die hessische SPD der eindeutige Verlierer der Wahl, so haben die Grünen ein durchaus janusköpfiges Ergebnis erzielt. Auf die landesweit erreichten 9,4 % der Wähler/innen–Stimmen könne die Partei stolz sein, meinte Landesvorstandssprecher Wolf Schwarz auf der ersten Pressekonferenz nach der „Stunde Null“ für Hessen. Jetzt sei „Oppositionsarbeit innerhalb und außerhalb des Parlaments“ angesagt, denn die Bonner Wende, die werde jetzt via Wallmann auch voll auf Wiesbaden durchschlagen. Schwarz befürchtet mehr als nur eine Kurskorrektur in der Umweltpolitik, in der Energiepolitik, beim Datenschutz und in der gesamten Innenpolitik. Joschka Fischer und die neue Landwirtschaftsexpertin der Fraktion, Irene Soltwedel, kündigten an, daß sich die Grünen jetzt verstärkt den ländlichen Regionen des Hessenlandes zuwenden würden - mit der Zielsetzung, das „Stadt–Land–Gefälle“ bis zu den Kommunalwahlen 1989 auszugleichen. Darüber hinaus müßten die Grünen in den Ballungsräumen weiter in das „Vakuum“ vorstoßen, daß die SPD dort hinterlassen habe. Fischer erklärte, daß die rot– grüne Koalition nicht an ihren Inhalten gescheitert sei, sondern daß die „taktischen Spielchen“ der SPD für das Scheitern verantwortlich gemacht werden müßten: „Das Schlingern der SPD in der Ausstiegsfrage, der vorzeitige Bruch des Koalitionsvertrages und der Rücktritt Willy Brandts: Das alles zusammengenommen hat in Hessen eine Mehrheit für Rot–Grün verhindert.“ Der Ex– Umweltminister gab vor der Landespressekonferenz bekannt, daß er gedenke, seine Rolle als Landtagsabgeordneter in der Opposition voll auszufüllen. Fischer: „In der Opposition kann es keine Koalition geben. Wir werden rausholen, was rauszuholen ist für die Grünen.“ Klaus–Peter Klingelschmitt