Hoffnungen auf ein Ende des Lagerkrieges

■ In den kommenden Tagen wird sich zeigen, ob es sich bei den jüngsten Hilfslieferungen für die Westbeiruter Palästinenserlager um eine punktuelle Aktion handelt oder ob die Blockade, weiter gelockert wird / Waffenstillstandsabkommen noch labil

Aus Beirut Petra Groll

Nachdem in der vergangenen Woche ein Verzweiflungsruf nach dem anderen aus dem seit November 1986 umstellten Palästinenserlager Chatila am Rande Westbeiruts an die Öffentlichtkeit drang, wurden am Montagnachmittag sechs Lastwagen mit Versorgungsgütern in das Ruinenfeld geschickt. Unter Aufsicht einer hochrangigen Beobachtertruppe konnten ca. 30 t Lebensmittel, Decken und Kleidung an die 4.000 Palästinenser verteilt werden. Das Lager war seit Beginn der Blockade am 26. November 86 nur zweimal mit Hilfsgütern beliefert worden. Weitere Versuche waren gescheitert, weil nicht einmal für wenige Stunden ein Waffenstillstand eingehalten wurde. Auch am Montag nachmittag wurde ein Campbewohner beim Entladen der Lkws erschossen. Zwar wurden am Montag weder die dringend benötigten Medikamente noch Diesel für die Generatoren des unterirdischen Feldlazaretts geliefert, das am vergangenen Samstag mangels elektrischer Versorgung den Betrieb einstellen mußte, und auch die 33 Schwerverletzten konnten nicht evakuiert werden, dennoch bedeutet die Lebensmittellieferung eine große Erleichterung für die Bewohner des Lagers, die dem Hungertod nahe waren. Der vor Ort anwesende Beobachter des kuwaitischen Roten Kreuzes, Abdel Ghani Kashi - die Lieferung war eine Spende aus Kuwait - versichterte den anwesenden Journalisten, daß alle Anstrengungen unternommen würden, auch die medizinische Versorgung der Lager zu regeln. Eine genaue Aufstellung der benötigten Medikamente und Materialien sei dem italienischen Roten Kreuz zugegangen. Die gleiche Menge an Versorgungsgütern wird dann, wie bei jeder Hilfslieferung, an die libanesische Schiitenbewegung Amal verteilt. Für Dienstag, so kündigte Abdel Ghani Kashi an, sei die Evakuierung der Schwerverletzten aus Chatila und dem zweiten belagerten Camp, Bourj–el–Brajneh am Südrand Beiruts, geplant. Die 20.000 Bewohner Bourj–el–Brajnehs konnten bereits am Sonntag ebenfalls vom kuwaitischen Roten Kreuz mit Lebensmitteln versorgt werden. Nach der Evakuierung der Schwerverletzten müßte auch den Frauen von Chatila das Einkaufen außerhalb des Lagers gestattet werden. Die Frauen aus Bourj–el– Brajneh können bereits seit dem 20. Februar zur Versorgung ihrer Familien in die südlichen Vororte Beiruts gehen. Seit Eröffnung dieser „Todespassage“ sind 26 Frauen erschossen und 75 verletzt worden. Die Besserung der Versorgungssituation im halbjährigen „Lagerkrieg“ der Schiitenbewe gung Amal gegen die Palästinensercamps ist die erste von vier Etappen, auf die sich am Sonntag abend Unterhändler von Amal und der „Palästinensischen nationalen Rettungsfront“, einem prosyrischen Arafat–Oppositionellen Bündis, unter Ägide der für den „Westbeiruter Sicherheitsheitsplan“ zuständigen syrischen Militärs einigen konnten. Gemäß dieses Abkommens müßte sich in den kommenden Tagen nicht nur ein Waffenstillstand an den Westbeiruter Fronten, sondern im „Lagerkrieg“ insgesamt beweisen. Nach Angaben der „Nationalen Rettungsfront“ wurde ebenfalls ausgehandelt, daß Angehörige der syrischen Spezialtrupps in Westbeirut die Zugänge zu den beiden Lagern kontrollieren sollen. Diese Informationen werden weder von der Amal noch von syrischen Verhandlungsteilnehmern bestätigt. Im Gegenzug für die Lockerung der Blockade der Beiruter Camps sollen sich die Palästinenser aus insgesamt acht militärischen Positionen im Südlibanon zurückziehen. Diese Stellungen in drei Dörfern östlich der Hafenstadt Saida liegen über dem größten Palästinenserlager im Libanon, Ain–el– Helwue, mit ca. 80.000 Bewohnern. Dieses als „Arafat–Hochburg“ bekannte Camp war bislang nicht vom „Lagerkrieg“ betroffen. Zum einen hat ihre militärische Stärke die Palästinenser geschützt, zum anderen gilt die Viertel–Millionen– Stadt Saida, die hauptsächlich von Sunniten bewohnt wird, als traditionell pro–palästinensisch. Die stärkste lokale Miliz, die „Progressive Nasseristische Organisation“ des Mustafa Saad, hat auch ihre Einwilligung gegeben, in die von den Palästinensern zu räumenden Positionen oberhalb Ain– el–Helwues einzurücken. Da die strategisch wichtigen Stellungen nicht nur Überblick (und Schußfeld) auf das Palästinenserlager, sondern auch auf die weiter in den Süden führende Küstenstraße von Saida nach Sur (Tyros) erlauben, war diese Strecke für die Milizionäre von Amal nur unter einigem Risiko passierbar. Bis Ende April, so hat der syrische General Ghazi Kanaan angekündigt, soll die Küstenstraße bis zur Raffinerie von Zahrani, wenige Kilometer südlich von Saida, der Kontrolle der syrischen Truppen unterstellt werden.