Arbeitszeitverkürzung in Brasilien

■ Brasiliens Metallgewerkschaft unterzeichnete einen Tarifvertrag zur 44–Stunden–Woche / Auch die Großkonzerne sind jetzt vertraglich gebunden / Eine Etappe im Kampf um die 40–Stunden–Woche

Berlin (taz) - Am letzten Sonntag wurde in Sao Bernardo (Brasilien) zwischen den Metallunternehmern und der Metallgewerkschaft ein Tarifvertrag unterzeichnet, der deutsche Gewerkschafter an die Frühzeiten der Arbeiterbewegung unter Kaiser Wilhelm erinnern dürfte: Die Arbeitszeit in der Metallindustrie der Industrieregion um Sao Paulo soll für alle Betriebe einheitlich im Juni dieses Jahres auf 46, im Oktober dann auf 44 Stunden gesenkt werden. Die brasilianischen Metaller sind damit ihrem Ziel, der 40–Stunden– Woche, ein kleines Stückchen näher gekommen. Am 4. April hatten sie auf einer Versammlung von 8.000 Gewerkschaftern ohne Gegenstimmen das Verhandlungsergebnis gebilligt. Außer der Arbeitszeitverkürzung wurde eine Lohnerhöhung von 34,1 Prozent durchgesetzt, die allerdings wegen der seit einigen Monaten wieder beschleunigten Inflation einen realen Kaufkraftgewinn von nur fünf Prozent in die Taschen der Arbeiter bringt. Während Ende letzter Woche noch 12.000 Daimler–Arbeiter in Sindelfingen mit Warnstreiks ihre Kampfbereitschaft für die 35–Stunden–Woche demonstrierten, sahen sich ihre Kollegen in Sao Bernardo nicht in der Lage, durch Kampfmaßnahmen ein besseres Ergebnis durchzurdrücken. 1985 hatte es nach einem Arbeitskampf der Metaller in der Region Sao Bernardo, in der die meisten ausländischen Konzerne ihre Zweigwerke betreiben, zahlreiche Einzelabschlüsse mit unterschiedlichen Wochenarbeitszeiten zwischen 42 und 48 Stunden gegeben. Die großen Montagebetriebe von VW, Ford, Mercedes, Fiat aber konnten nicht zu einer tarifvertraglichen Regelung der Arbeitszeit gezwungen werden. Dies wurde jetzt ebenso nachgeholt wie die Verankerung bestimmter So zialklauseln. Der Wind bläst den Gewerkschaften Brasiliens derzeit ins Gesicht. Seit Anfang des Jahres die Preisbindung faktisch aufgehoben wurde, werden die Löhne wieder beschleunigt von der Inflation aufgefressen. Die Konzerne investieren nicht mehr, sondern entlassen massenweise Leute. Allein VW hat zum Jahresende über 1.000 Arbeitern gekündigt. Bei Ford soll Gerüchten zufolge ein Viertel der Belegschaft dran glauben. Bei Mercedes werden nach Angaben der Gewerkschaft derzeit monatlich bis zu 150 Arbeiter entlassen. In dieser Situation sehen es die Gewerkschaften als Erfolg an, daß sie mit dem neuen Tarifvertrag wenn schon keine generelle Verkürzung, so doch eine Vereinheitlichung der Arbeitszeiten durchsetzen und auch die tonangebenden Großkonzerne vertraglich binden konnten. c.s./marke