Hilf(s)–Konstruktion in der ARD

■ Gestern stellte der Südwestfunk im Baden–Badener Kongreßhaus ein neues Konzept für Report vor / Zahlreiche Demonstranten beteiligten sich an der Solidaritätskundgebung für Franz Alt

Die Intendanten der ARD erlebten gestern Bürgernähe pur. Der Protest gegen die Zwangsversetzung des Report–Redakteurs Moser und die zunehmende Zensur der ARD–Magazine hatte mehrere tausend Demonstranten auf die Straßen der Roulette–Stadt getrieben. Neues Spiel, neues Glück stand dort für das Report–Magazin genauso auf dem Programm wie für die ARD insgesamt. Franz Alt glaubt den „Tiefpunkt der Krise“ überwunden. Doch die Kritik zielt jetzt auf den Intendanten Hilf selbst.

„Sie sollten die deutsche Wirklichkeit mehr von der Mitte aus zeigen, Herr Alt ... und die Mitte liegt bekanntlich rechts!“ Die alten Leute im Kurpark sind sich nicht sicher, ob sie zugeknöpft oder im Hemd gehen sollen. So 200 bis 250 Menschen haben jetzt einen Kreis gebildet, fassen sich an den Händen wie zum Gebet. „Wir sind nicht Hilf–los“, steht auf Schildern und Transparenten, „Wir fordern Kommunikationsfreiheit“; die „Meinungsfreiheit“ wird in einem symbolischen Sarg zu Grabe getragen, Bläser spielen dazu eine Trauerweise. Die 250 sind in die immer frischgeputzte, dröge Kurstadt gekommen, um ihren Protest gegen die Versetzung des Report– Journalisten Wolfgang Moser und den Entzug der Moderation für den Report–Macher Franz Alt zu protestieren. Aufgerufen hatten Klaus Vack vom Komitee für Grundrechte und Demokratie; Rudolf Bahro steht etwas scheu am Rande der Kundgebung, über den Filz zwischen dem Intendanten des Südwestfunks Willibald Hilf mit der Atomindustrie berichtet der Verfassungsrechtler Prof. Küchenhoff. Der Psychoanalytiker Horst Eberhardt Richter ist ebenso mit von der Partie wie der Ökokonservative Herbert Gruhl. „Wenn dem Intendanten Willibald Hilf die Courage zum Rücktritt fehlt“, läßt Günter Wallraff in einem Brief mitteilen, „soll er doch zusammen mit seinem Adlatus und unentwickelten Rohling vom Dienst - Kleinmann - diesem Law–and order–Demoskopen, dem das Verlangen nach Demokratie und Gleichheit schon als höchst verdächtig und staatsabträglich erscheint, in Konkurrenz zu Franz Alt ein eigenes Magazin mit dem Titel: Herrn Kleinmanns HILFS–Report starten.“ Sollten Franz Alt oder Wolfgang Moser vom SWF–Intendanten kaltgestellt werden, so fordert Wallraff den Boykott des Südwestfunks durch Schriftsteller, Journalisten, Regisseure und Künstler. Vor 25 Jahren, so Klaus Vack, sei Rudolf Augstein in Untersuchungshaft genommen worden; ein erster Coup des Franz Josef Strauß gegen die Pressefreiheit der BRD. Seither seien viele kritische Journalisten klammheimlich oder offen mundtot gemacht worden. Die Versetzung des Report– Journalisten Wolfgang Moser sei der vorläufig letzte Angriff aus dem bayerischen Staatsministerium. Das deutsche Fernsehen verflache immer mehr und werde von den „Herrschenden“ politisch gleichgeschaltet, im Zeichen des Mittelmaßes und der Unterdrückung von Minderheitsmeinungen. Willibald Hilf habe in zehn Jahren nichts anderes getan als den Südwestfunk im Sinne von CDU/CSU, Kapital, Atomindustrie und Militär gleichzuschalten. Auf die gegensätzlichen Entwicklungen zwischen der BRD und der Sowjetunion wies Rudolf Bahro hin, Repression und Gleichschaltung hier - der Frühling des Glasnost im fernen Rußland. Als die „Personifizierung des Umdenkens“ würdigte der Starnberger Friedensforscher und Mitglied des Bundestags Alfred Mechtersheimer den bisherigen Report–Moderator Franz Alt. Er sei deshalb für die Herrschenden so gefährlich, weil er eben nicht von außen komme, sondern von innen. Mechtersheimer rief auf, eine Freiheitsbewegung für die Medien zu organisieren. Die Alternative könne nur heißen: Alt bleibt und Hilf geht. Ansonsten müsse man eine Kampagne starten wie sie diese Republik noch nie gesehen habe. Jetzt zieht sich eine Menschenkette rund um das Kongreßgebäude, Karin Struck, die Schriftstellerin vornedran. Drinnen tagen die Intendanten, Chefredakteure und Gremienmitglieder der ARD. Unter Pfiffen und Schmährufen waren sie durch ein Spalier von Demonstranten ins Innere gelangt zu ihrem Symposium über „Die Zukunft der ARD“, die ARD im Wetbewerb: Willibald Hilf, der Intendant des Südwestfunks hatte nach Baden–Baden eingeladen und hofft auf „gute Formen“ und daß sich die Störungen draußen in Grenzen halten. Dann gibt es Wichtigeres. 5,25 Milliarden habe der Haushalt der ARD betragen, 18.800 Mitarbeiter stünden bei der ARD in Lohn und Brot, eine halbe Million Sendeminuten habe allein die ARD im vergangenen Jahr ausgestrahlt - mehr als jede andere europäische Sendeanstalt. Die wirtschaftlich– kulturelle Bedeutung der ARD, so ihr Vorsitzender, ließe sich schon daran messen, daß man 780 Mio. DM für Urheber–, Leistungs– und Herstellervergütung ausgegeben habe. Jetzt, nachdem ein bundesrepublikanischer Medienstaatsvertrag geschlossen sei, ein duales System zwischen öffentlich– rechtlichen Anstalten und privaten Programmanbietern, könne die ARD wieder sicher leben und bei der Entwicklung neuer Techniken eine Schrittmacherrolle spielen. Doch wenn Willibald Hilf die „Freiheit des Rundfunks von staatlicher Beherrschung und Einflußnahme“ als essentielle Voraussetzung der Rundfunkfreiheit unterstreicht, kann er weder an seine Pressionen gegenüber Franz Alt noch die Versetzung Wolfgang Mosers noch an sein goldenes Händchen gegenüber Flickscher Großzügigkeit wg. Hilf gedacht haben. Hoffend, daß auch kommende Privatsender die journalistische Unabhängigkeit wie die ARD wahren mögen, hofft Hilf, selbst da, wo man sich als Konkurrent treffe, im Gespräch zu bleiben. Ins Gespräch kam Herr Hilf bislang nur mit den Demonstranten. Das Ergebnis dieser Unterredung war bei Redaktionsschluß allerdings noch nicht bekannt. Dietrich Willier