„Des Menschen Herzen neigt zum Bösen“

■ Bayerischer „Ein– und Ausbrecherkönig“ Theo Berger vor Gericht / Anklage: Mordversuch an zwei Polizisten / Bankraub konnte nicht nachgewiesen werden / „Dem armen Teifi brauchts nicht so vui gebn“, sympathisierte eine Zeugin mit dem todkranken Angeklagten

Aus München Luitgard Koch

Seit Mitte März steht der legendäre bayerische „Ein– und Ausbrecherkönig“ Theo Berger (46) zusammen mit seinem Spezi Otto Hinterlechner (34) wegen Mordversuchs vor dem Münchener Schwurgericht. Die beiden wurden Anfang März vergangenen Jahres als mutmaßliche Bankräuber festgenommen. Vor ihrer Verhaftung lieferten sie sich auf einem Acker bei Aschheim ein Feuergefecht mit der Polizei. Heute wird Richter Heinz Alert voraussichtlicht das Urteil verkünden, vermutlich das letzte, das über Berger gefällt wird - er ist unheilbar an Leukämie erkrankt. Staatsanwalt Hans–Karl Schmid hatte für den an Leukämie erkrankten Berger 13 und für Hinterlechner zehn Jahre und für beide Sicherungsverwahrung beantragt. Die Anwälte der beiden Angeklagten forderten Freispruch. „Des Menschen Herzen neigt zum Bösen“, sinniert die 36jährige Elena Obermaier vor dem Gerichtssaal. Die Bäuerin aus dem Landkreis Mühldorf hat sich stadtfein gemacht. Im frischgestärkten Dirndl und weißen Wadlstrümpfen wartet sie auf ihre Zeugenvernahme. „Jetz schau i mir den Berger moi an, ob er mir sympathisch ist, und dann tauch in entweder nei oder i haun raus“, vertraut sie den umstehenden Polizisten lachend an. Der Auftritt der resoluten Niederbayerin - zusammen mit einem Bankangestellten verfolgte sie die Bankräuber in Ampfing mit dem Auto - erinnert an Szenen aus dem Königlich Bayerischen Amtsgericht und andere Sympathien, die Berger in der Bevölkerung genoß. „A, so gehds ned, der Wilde Westen in Ampfing, mir müssn a arbeiten für unser Geld“, schilderte sie dem Richter Alert zwar ihre Reaktion auf den Überfall, der Berger und Hinterlechner angelastet wird. Bei der Gegenüberstellung im Gerichtssaal kann sie aber keine Angaben machen, ob die beiden mit den Ampfinger Bankräubern identisch sind. „I hob immer auf die Plastiktüte gschaut, weil i mir überlegt hab, wievui Geld die er wischt ham“, zuckt sie mit den Achseln. Lachen im vollbesetzten Gerichtssaal. Bevor sie den Saal verläßt, dreht sie sich nochmals um und meint: „Vui brachts dem ned gebn, des is eh a armer Teifi.“ „Al Capone aus dem Moos“ Jahrelang hielt der „Al Capone aus dem Donaumoos“ Gericht und Justiz in Atem. Wie kein anderer hat der Sohn eines Kleinhäuslers aus dem dünnbesiedelten schwäbischen Donaumoos zwischen Neuburg und Schrobenhausen in Bayern weiß–blaue Kriminalgeschichte geschrieben. Zusammen mit seinen Freunden inszenierte er Dutzende von Einbrüchen und Banküberfällen. Die Verlesung seiner Straftaten nimmt fast einen halben Verhandlungstag in Anspruch. Die Palette reicht vom mißglückten Viehdiebstahl über das Knacken von Zigarettenautomaten bis zu Einbrüchen in Textilgeschäfte, um schnell mal einen schicken Anzug mit Krawatte zu ergattern. Ein anderes Mal klaut die „Berger–Bande“ aus einem Lagerhaus einige Zentner Weizen und Futtermittel, um sie dann an die BAYWA im nächsten Ort zu verscherbeln. 1967 wird der „schöne Theo“ wegen schweren Raubs zu 15 Jahren Haft verurteilt. Lebenslänglich lautete das Urteil, als er nach einem Ausbruchsversuch bei seiner Festnahme auf einen Beamten schoß. Eingestuft als „Gefährlicher Gewalttäter“, wurde außerdem Sicherungsverwahrung verhängt. Dreimal gelang ihm die Flucht aus Bayerns sicherstem Knast, der Justizvollzugsanstalt (JVA) Straubing. Nach drei Jahren strenger Einzelhaft verliert er zeitweise die Sprache. Als „haftuntauglich“ - die Ärzte diagnostizieren Leukämie im Endstadium - wird Berger auf Intervention seines Anwalts, mit 350 Mark Sozialhilfe monatlich, vorzeitig entlassen. 19 Jahre seines Lebens hat er zu diesem Zeitpunkt hinter Gittern verbracht und seit Juni vergangenen Jahres sitzt er wieder in der JVA Straubing. „Ganovenehre“ Unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen - die Zuschauer werden nach Waffen durchsucht und Berger selbst am ersten Verhandlungstag in Handschellen vorgeführt - beginnt der Prozeß. Für Überraschung sorgt Bergers Spezi und Mitangeklagter Hinterlechner. Der gelernte Schweißer, mit dem sich Berger im Knast angefreundet hat, legt zunächst ein Geständnis ab. „Los, los, auf gehts, pack mas!“ Mit diesen Worten hätte ihn Theo zu den Banküberfällen in Ampfing und München gedrängt, erzählt der blaße Heimzögling. Außerdem: „Gschossn hat nur der Theo“, behauptet er. Die Anklage ging zunächst davon aus, daß bei der Verfolgungsjagd nur Hinterlechner auf die beiden Polizisten geschossen habe. Tags darauf korrigiert Berger diese Aussage seines Freundes. Hinterlechner sei bei keinem der Überfälle dabei gewesen, und er selbst habe nur die Fluchtautos gefahren. Die wirklichen Räuber werde er jedoch nicht „verpfeifen“. Am dritten Verhandlungstag besinnt sich dann auch Hinterlechner auf seine „Ganovenehre“ und widerruft sein „Scheingeständnis“. „Schieb alles auf den Berger, der stirbt eh bald, da is scho wurscht“, habe ihm ein Beamter geraten. Die Anklage wegen des Ampfinger Bankraubs wird kurz vor der Urteilsverkündung fallengelassen. „I möcht bloß sagn, daß i ned gzielt auf Polizistn gschossn hob, i bin koa Mördertyp“, verteidigt sich Hinterlechner in seinem Schlußwort. Den einzigen ungezielten Schuß habe er aus einer „brutalen Verteidigungssituation“ abgegeben. „Die Beamten haben ja unser Auto durchsiebt.“ Gespannt warteten die Zuhörer danach auf Bergers Schlußwort. Er hatte angekündigt, seine dreihundert Seiten lange von ihm verfaßte Biographie zu verlesen. „I verzicht drauf“ war alles, was er sagte.