„Wer Veränderung will, muß SPD wählen“

■ Interview mit dem saarländischen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine / Hessen–Wahl: „Es ist leider so, daß die richtige Politik manchmal nicht die Mehrheit findet“ / Ausstieg: „Dafür werbe ich schon seit Jahren“ / Die Grünen: „Wenn die Grünen zum Kompromiß nicht fähig sind, sind sie nicht regierungsfähig“

taz: Wie ging es Ihnen am Abend nach der Hessen–Wahl? Oskar Lafontaine: Ich war enttäuscht. Wir hatten damit gerechnet, daß das Ergebnis zugunsten einer rot–grünen Mehrheit ausfallen würde. Aber nach einer gewissen Zeit überlegt man, wie es weitergeht. Und da man seine politische Arbeit über die Inhalte definiert, werden wir die Politik weiterverfolgen, die wir über Jahre entwickelt haben. Wie will die SPD denn künftig Wahlen gewinnen, wenn einerseits die Arbeiter zur CDU laufen und am linken Rand die Leute gleich die Grünen wählen? Ich bin immer dagegen gewesen, aus einer Wahl solche Schlüsse zu ziehen. Wir hatten vor zwei Jahren Wahlen im Saarland und in Nordrhein–Westfalen, wo die Arbeiter in Scharen von der CDU zur SPD übergelaufen sind. In einem halben Jahr kann die Situation schon wieder so sein. Wir können unsere Politik nicht nach Tagesereignissen formulieren. Wir müssen politisch das anstreben, was wir nach gründlichem Überlegen für richtig halten. Das ist uns zu einfach. Nehmen wir das Beispiel Hanau: Im Konflikt um die Schließung der Plutoniumfabrik ALKEM verlor die SPD ungefähr ein Drittel an die Grünen und zwei Drittel an die CDU. Den praktischen Konflikt um Arbeitsplätze versus Ausstieg aus der Plutoniumwirtschaft hatten Sie im Saarland nicht. Die Grünen sagen, sie sind gegen die Plutoniumfabriken, schenken sich aber eine sorgfältige Analyse der Frage, wie das überhaupt gehen kann. Und sie haben mit der unwahren Behauptung, die hessische Landesregierung hätte über das Atomgesetz die Anlage schließen können, die Koalition platzen lassen. Hanau zeigt, daß die SPD die Aufgabe hat, eine differenzierte Position verständlich zu machen: Letztendlich kann die Plutoniumfabrik in Hanau nur die Bundesregierung schließen. Das heißt, wir brauchen andere Mehrheiten im Bund. Wenn weiterhin solche Fehler gemacht werden wie in Hessen, daß durch das vorzeitige Aufkündigen einer Koalition zum falschen Zeitpunkt Wahlen verloren gehen, wird es bei Beschlüssen und Resolutionen bleiben. Ökologische Politik nicht auf Kosten der Arbeiter Gerade Hessen hat doch das strukturelle Problem der SPD sehr deutlich gemacht: Die SPD ist für die ökologisch orientierten Wähler und Wählerinnen nicht glaubwürdig. Die wählen gleich die Grünen. Andererseits verschreckt die SPD ihre traditionellen Wählerschichten z.B. damit, daß es überhaupt einen Ausstiegs–Beschluß gibt. Vor diesem Problem stehen alle Parteien, nicht nur die SPD. Die SPD hat bei dieser Wahl nur 40,2. Die SPD muß dafür arbeiten, daß sie deutlich dazugewinnt. Es gibt aber keine andere Antwort als die Politik zu vertreten, die man für richtig hält. Wir können jetzt nicht hingehen und sagen, wir sind für Plutonium! Aber die Konsequenz könnte schon sein, daß die SPD ihre Politik wieder stärker an dem Arbeiter orientiert, der gerade für den Arbeitsplatz in der Plutoniumfabrik votiert hat. In diese Richtung werden sich ja wohl die Flügelkämpfe in der SPD entwickeln. Mein Vorwurf etwa an die Grü nen in Hessen war ja der, daß sie gesagt haben, „wir schließen die Anlage“, ohne zu sagen, was mit den Arbeitsplätzen geschieht. Eine solche Politik kann sich die SPD nicht erlauben. Ob wir in Hessen ausreichend deutlich gemacht haben, was mit den wegfallenden Arbeitsplätzen geschehen soll, ist nach dem Wahlergebnis zu bezweifeln. Aber die SPD wird ökologische Politik nie auf dem Rücken der Arbeitnehmer betreiben. Was heißt das konkret? Irgendwann stellt sich die Frage ganz praktisch: Schließen wir die Fabrik aus ökologischen Gründen oder nicht? Jede ökologische Politik wird nicht auf dem Rücken der Arbeiter betrieben, sondern ist für die Arbeiter. Sie wollen auch in einer gesunden Umwelt leben. Es gibt dann die Frage, was mit Arbeitsplätzen geschieht, die einem strukturellen Wandel der Industriegesellschaft zum Opfer fallen. Hans Krollmann hatte ein Konzept zur Endlagerung verstrahlter Materie vorgeschlagen, in dem die Hanauer Anlagen eine Rolle gespielt hätten. Dann lags an den Wählern, die haben das offensichtlich nicht begriffen. Es ist leider so, daß die richtige Politik manchmal nicht die Mehrheit findet. Die SPD ist in keinem Tief Nun ist es seit Niedersachsen so, daß die SPD eine Niederlage nach der anderen einstecken muß. In einer Demokratie hat eine Partei nun mal Höhen und Tiefen, was die Wählergunst angeht. Sie werden sehen: der ökonomisch– soziale Trend wird mit Sicherheit dazu führen, daß die SPD auch wieder gestärkt wird. Und einige derer, die grün gewählt haben, aber der SPD nahestehen, werden sich nach der Hessen–Wahl sicher noch mal überlegen, ob diese Entscheidung auf Dauer richtig ist. Aber warum ist die SPD in einem solchen Tief? Man muß doch die Kirche noch im Dorf lassen. Die SPD hat etwas weniger Stimmen als die CDU! Was berechtigt da, von einem Tief zu reden? Aber die SPD hat doch ganz schön verloren... Ich bin gegen diese voreiligen Schlußfolgerungen nach jeder Wahl. Dann hat die SPD also nicht mit grundsätzlichen Problemen zu kämpfen? Seit über zehn Jahren haben wir eine programmatische Diskussion, bei der es um grundsätzliche Probleme geht. Meine Antwort wird immer dieselbe sein: Wir müssen die Politik vertreten, die wir für richtig halten. Wir sind keine Werbefirma, die alle sorgfältigen Überlegungen verwirft, nur weil 0,15 als wir es uns gewünscht haben. Halten Sie denn auch in Hamburg eine erneute Kandidatur von Dohnanyi für richtig? Ja. Mit dem Risiko natürlich, daß gerade Dohnanyi gesagt hat: Keinen Millimeter mit der GAL. Das ist umgekehrt: gerade die GAL ist nicht bereit Politik zu machen. Das ist ein pubertärer Haufen, der vorgibt zu wissen, wie es gemacht wird, der sich aber weigert, dafür gerade zu stehen. Und die Arbeitsteilung, daß die SPD für die Regierungsarbeit und die Schwierigkeiten zuständig ist und die anderen für die Sprüche, werde ich energisch bekämpfen. Der Weg der Tolerierung ist ein bequemer Versuch, sich aus der Verantwortung herauszumogeln. Weder rechts noch links Wie ordnen Sie sich eigentlich innerhalb der SPD ein? Es geht heute um neue Fragestellungen und um neue Antworten darauf, wie Welt und Natur vor der Zerstörung zu bewahren sind. Als Sozialdemokrat versuche ich, diese beiden Antworten mit der traditionellen Aufgabe der SPD zu verbinden, die Würde des Menschen im Arbeitsleben zu bewahren. Das ist ein klassisch–konservativer Politikansatz. Links daran ist der Versuch, die Herrschaft der Sachen zu bekämpfen. Wie unterscheiden Sie sich darin von ihrem künftigen Parteivorsitzenden Vogel? Nein. In Nürnberg haben wir in den entscheidenen Fragen - Energie, Sicherheitspolitik, Sozialpolitik - mit großen Mehrheiten votiert. Das sind die Gemeinsamkeiten. Gibts auch Unterschiede? In Einzelfragen gibt es natürlich Diskussionen und unterschiedliche Standpunkte. Aber in entscheidenden Fragen ist sich die SPD einig. In der Sicherheitspolitik haben Sie ja vor ein paar Jahren eine andere Position bezogen und gefordert, „die Bundesrepublik muß den Austritt aus der militärischen Integration der NATO wagen“. Wie der von den Wendeparteien so gefeierte französische Staatspräsident. Er schrieb: „Frankreich ist aus der NATO ausgetreten, das heißt aus dem Oberkommando einer Nebenstelle des Pentagon. Wir sind ausgetreten und werden nie mehr beitreten. Man überläßt anderen nicht die Entscheidung, wenn Leben und Tod auf dem Spiel steht.“ .. Und es gibt mittlerweile Überlegungen, eine europäische Lösung zu finden. Die taz darf raten von wem. (Die taz tippt auf Helmut Schmidt) Also doch: Austritt aus der militärischen NATO–Integration ? Ein europäisches Oberkommando ist der entscheidende Schritt. Die Forderung der SPD nach Atomwaffenfreiheit paßt aber mit den französischen Atomwaffen nicht mehr zusammen. Das paßt mit den französischen Atomwaffen nicht zusammen. Aber die deutsche Sozialdemokratie hat zunächst das Ziel, die deutsche Sicherheitspolitik zu verändern. In Nürberg hat die SPD auch beschlossen, daß der Ausstieg aus der Atomenergie in zehn Jahren an den gesellschaftlichen Konsens mit allen gesellschaftlichen Gruppen gebunden ist... Ich bin für den sofortigen Ausstieg. Nur, mit diesem Wunsch verändere ich überhaupt nichts. Nachdem nun auch noch Hessen verloren ist, brauchen wir mindestens zehn Jahre um weiterzukommen. Insofern ist die Position der Grünen reines Wunschdenken. Es war vom hessischen Atomminister Steger vielleicht auch kindisch, für ALKEM diese Anweisung für eine begrenzte Plutoniumproduktion zu schreiben. Eine Landesregierung muß auch Gesetze befolgen, wenn sie mit dem Inhalt der Gesetze nicht übereinstimmt. Das Prinzip des zivilen Ungehorsams kann nicht das Prinzip zwischenstaatlichen Handelns sein. Kommen wir noch mal zur Aussage ihrer Partei, ohne einen Konsens mit allen gesellschaftlichen Gruppen sei der Ausstieg aus der Atomenergie nicht durchführbar. Wo werben Sie denn für diesen Konsens? Beim Konsens denkt man ja nicht in erster Linie an Institutionen oder Verbände, sondern an die Wählerinnen und Wähler. Es ist so, daß nach den Ergebnissen von Umfragen die Mehrheit zumindest gegen den weiteren Ausbau der Atomernergie ist. Obwohl diese Mehrheit wahrscheinlich wieder abbröckelt, je weiter Tschernobyl in Vergessenheit gerät. Unsere Aufgabe ist es, diese mehrheitliche Übereinstimmung zu einer politisch, handlungsfähigen Mehrheit zu machen, damit wir nicht nur bei Beschlüssen und Glaubensbekenntnissen bleiben, als Fundamentalisten enden und dann beim nächsten Unfall sagen, wir haben aber recht gehabt. Hessen: Rückschlag für den Ausstieg Wo werben die Sozialdemokraten für den Ausstieg aus der Atomenergie? Dafür werbe ich schon seit Jahren als Politiker der SPD unter den Mitgliedern der SPD, auf ungezählten Veranstaltungen und unternehme große persönliche Anstrengungen, um das zu erreichen. Nehmen wir als letztes Beispiel die vom nordrhein–westfälischen Wirtschaftsminister Jochimsen beauftragte Kommission, die die Sicherheit der Atomkraftwerke überprüfen soll. Unter den zehn Mitgliedern dieses Gremiums sitzt nur ein ausgewiesener Atomkritiker. Ist das ein Werben für den Austieg? Ich kenne diese Kommission nicht. Das muß ich überprüfen. Generell kann ich dazu sagen, daß solche Kommissionen nicht nur von Befürwortern der Atomenergie besetzt werden dürfen. Die saarländische Landesregierung hat ja auch einmal ein eigenes Ausstiegsszenario angekündigt. Wo bleibt das? Das ist in Vorbereitung und soll diesen Sommer vorgestellt werden. Wir haben im Grunde genommen auf zwei Verfahren gesetzt. Das eine ist die Energieeinsparung, das andere ist der erhöhte Einsatz der Kohle unter Hinzuziehung umweltfreundlicher Verbrennungsverfahren und entsprechender Umwelttechnologie. Allerdings bleibt das Papierkram, weil die politische Mehrheit auch nach Hessen weder im Bundesrat noch im Bundestag gegeben ist, um solche Programmatik umzusetzen. Von daher haben wir im Moment wenig Chancen diese Politik durchzusetzen. Hessen war leider auch ein schwerer Rückschlag für all diejenigen, die einen Ausstieg aus der Kernenergie wollen. Sie haben auch den Begriff des „ökologischen Godesberg“ geprägt. Nennen Sie uns doch mal ein paar Beispiele, wie das im Saarland aussieht. Wir haben zunächst einmal eine umweltfreundliche Energiepolitik auf den Weg gebracht. Die besteht darin, daß wir Kraft–Wärme– Kopplungen auf der Basis umweltfreundlicher Verbrennungsverfahren bauen. Wir ergänzen dieses Verfahren auch um entsprechende Ablufttechnologien, so daß wir hier unseren Worten auch Taten folgen lassen. Die Leute wollen ja auch wissen, wie die Energieversorgung in Zukunft aussehen soll. Wir haben als erstes Bundesland einen Schritt gemacht zum linearenStromtarif, der zum Sparen anreizt. Würde die Bundesrepublik sich zu diesem Schritt entschließen, wäre ein erheblicher Schritt zur Energieeinsparung getan. Aber wie gesagt, die notwendigen politischen Mehrheiten sehe ich im Moment nicht. Wir haben das Straßenbauprogramm überprüft und haben eine Reihe von Neubauvorhaben gestoppt zugunsten von Lärmschutzvorhaben und Radfahrwegen. Wir haben die Saarkanalplanungen der alten Landesregierung erheblich reduziert. Es gab hier einen Dissens mit den Grünen. Sie waren der Auffassung, man solle die Saar kanalisiert lassen aber keinen Hafen bauen. Hier können wir natürlich nicht zustimmen, weil dies ein Schildbürgerstreich wäre, die Saar zu kanalisieren und keine Möglichkeit für Frachten über die Saar zu schaffen. Am Beispiel des Fischsterbens hat sich doch gezeigt, daß der Umweltminister nicht die notwendigen Kompetenzen zu einer effektiven Ökologiepolitik hatte. Das hat er selber öffentlich beklagt. SPD und die Wähler - keine leeren Versprechungen Am Beispiel des Fischsterbens hat sich das gar nicht gezeigt. Kein Großmaul dieser Erde hätte das Fischsterben verhindern können. Fortsetzung auf Seite 11