Dritte Welt drängt auf Atomkraft

■ Eine UNO–Konferenz zur Förderung der internationalen Zusammenarbeit im Bereich ziviler Atomenergie soll den Ländern der Dritten Welt zu Nukleartechnologie verhelfen / Aus Genf Thomas Scheuer

Zehn Jahre lang wurde sie vorbereitet, immer wieder verschoben: Nun endlich fand auf Drängen der Dritten Welt endlich die Konferenz statt, die auch dem armen Süden der Weltkugel zu den Segnungen der Atomenergie verhelfen soll. Von den bislang 249 existierenden AKWs stehen nur 15 in Entwicklungsländern; darunter nur in solchen, die den Atomwaffensperrvertrag nicht unterschrieben haben. Der Versuch einer Neuordnung des Atom–Weltmarktes führte wegen unüberwindbarer Differenzen zu einem Konferenz– Fisko.

„UNCPICPUNE“ - wer den Konferenz–Wegweisern durch die Gänge des weitläufigen Genfer UNO–Palastes gefolgt ist, wähnt sich nach einigen Sätzen aus dem Kopfhörer zunächst im falschen Saal. Steht das Kürzel „UNCPICPUNE“ doch für „United Nations Conference for the Promotion of International Co–operation in the Peaceful Uses of Nuclear Energy“. Doch hier (mal ganz abgesehen von den Handgreiflichkeiten zwischen den Delegierten des Iran und des Irak) tönt es wenig „peaceful“. Viel ist von den militärischen Gefahren des Atoms die Rede. „Die Technologie für die friedliche Nutzung als auch für den militärischen Gebrauch“, so erklärt Francisco Cancino, Delegationschef Mexikos, ganz offenherzig, „ist eben dieselbe.“ Nie zuvor, so staunt einer der wenigen angereisten Beobachter aus der Anti–Atom–Szene, habe ein Forum der internationalen Atomgemeinde so unverblümt den Zwillingscharakter ziviler und militärischer Kernspaltung bestätigt. Bestand doch die zentrale Lebenslüge der Atom–Fans jahrzehntelang in der klinisch– sauberen Trennung in zivil–friedliche und militärisch–zerstörerische Strahlenpartikelchen. So hat die 1957 gegründete „International Atomic Energy Agency“ (IAEA), eine Sonderorganisation der UNO, laut Satzung „in der ganzen Welt den Beitrag der Atomenergie zum Frieden, zur Gesundheit und zum Wohlstand zu beschleunigen und zu steigern“, gleichzeitig aber dafür zu sorgen, daß diese „nicht zur Förderung militärischer Zwecke benutzt wird“. Der „Non–Prolifera tion–Treaty“ (NPT) von 1968, landläufig als Atomsperrvertrag bekannt, sollte den damaligen fünf Atommächten das Monopol auf die Bombe sichern. Die unterzeichnenden Atom–Habenichtse gelobten militärische Atom–Abstinenz gegen das Versprechen, im Gegenzug an den zivilen Segnungen der Kernkraft teilhaben zu dürfen. Die Bilanz nach fast 20 Jahren Non–Proliferation fällt umgekehrt aus: Der NPT hat die Verbreitung der zivilen Atomenergienutzung in den Staaten, die den Vertrag unterzeichnet haben, behindert, das Anwachsen der militärischen Atom–Arsenale jedoch keineswegs verhindert. Das Gros der Entwicklungsländer sieht im Atomsperrvertrag die Rechtsquelle für Diskriminierung und Gängelung. Die „alle vernünftigen Grenzen sprengende nukleare Aufrüstung der alten Atommächte“, so die Kritik, habe der NPT nicht bremsen können; gleichzeitig hätten die Atom– mächte bezüglich des zivilen Kerntechnologie–Transfers ihr Wort gebrochen. Atomwaffensperrvertrag als Diskriminierung Immer mehr Staaten der Dritten Welt rebellieren offen gegen das Vertragswerk: Für „völlig irrelevant“ erklärte die Regierung Indiens in einem umfangreichen Memorandum für diese Konferenz den NPT, der Vertrag sei ein „Humbug“. Die Inder seien heute froh, so erläutert ein Nuklear–Ingenieur aus Bombay im Flurgespräch, daß sie sich als Nicht–Unterzeichner des NPT nun nicht 20 Jahre im technologischen Rückstand befänden, sich vielmehr eine autarke Atomwirtschaft aufgebaut hätten. Die Gretchenfrage nach der Bombe kontert er mit dem Hinweis, daß das NPT–Mitglied BRD seine Soldaten doch auch an Atomraketen auf seinem Boden trainiere; daß es US–amerikanische seien, sei nur eine Formalie - „das ist doch scheinheilig“. Verarscht fühlen sich aber vor allem jene Unterzeichner, die brav die Atom–Abstinenz eingehalten haben, bzw. mangels Know–how einhalten mußten. Von den derzeit weltweit in 26 Ländern arbeitenden 394 AKWs stehen nur 15 Meiler in sechs Entwicklungsländern. Deshalb drängten die in der sogenannten „Gruppe der 77“ zusammengeschlossenen UNO–Mitglieder der Dritten Welt seit Jahren auf die Durchführung der jetzt stattfindenden Konferenz zur Förderung der internationalen Zusammenarbeit im Bereich ziviler Atomenergie, um endlich zu Rahmenbedingungen zu kommen, die den zivilen Atomtransfer erleichtern. Bereits vor zehn Jahren hatte die UN– Generalversammlung die Durchführung einer entspechenden Konferenz beschlossen. „UNCPICPUNE“ sollte eigentlich gerade nicht über Für und Wider der Non–Proliferation streiten. Denn neben den IAEA– Gremien und den alle fünf Jahre stattfindenden Überprüfungs– Konferenzen des NPT hätte es dazu nicht eines zusätzlichen Forums bedurft. Doch da die Natur des Atoms die Streitfrage vorprogrammierte, was denn nun Proliferation sei und was nicht, geriet auch „UNCPICPUNE“ unvermeidlich zum Forum über den NPT. Allein das personelle Recycling der Konferenz war bezeichnend: So saß der UNCPICPUNE–Leiter, der Ägypter Mohamed Shaker, schon der letzten Revisions–Konferenz des NPT im Spätsommer 1985 vor. Die meisten US–Delegierten kamen auffälligerweise aus der Abrüstungs– und Rüstungskontroll–Behörde. Als Ursache der Auseinandersetzung ortet der Botschafter von Bangladesh „wachsende Frustra tionen“ in jenen Ländern, die, wie das seine, den NPT unterzeichnet und eingehalten hätten, „in der großen Hoffnung, die Wohltaten der friedlichen Kernenergie zu ernten“. Seit zehn Jahren bemüht sich Bangladesh - laut UNO–Statistik eines der ärmsten Länder der Welt - vergebens um einen Forschungsreaktor. In den Statements der Entwicklungsländer wird immer wieder atomare Diskriminierung beklagt, wird das Recht eines jeden Staates auf sein souveränes Atomprogramm beschworen, gerade jenes Recht, daß Tschernobyl ad absurdum geführt hat. „Der Fall–out macht nicht an den Grenzen halt“, mault Konferenz–Chef Mohamed Shaker ganz richtig - und fordert konsequent gleichberechtigte Teilhabe an den Risikoquellen. Tschernobyl zeigt keinerlei Wirkung Die Delegierten der Dritten Welt sind fast durchweg noch von jener atomaren Jubelstimmung der 50er Jahre beseelt, die auch die IAEA konserviert: „30 Jahre Frieden, Gesundheit und Wohlstand“ werden auf den IAEA–Infotafeln vor dem Konferenzraum gefeiert. Die Krise der strahlenden Branche in den Industrieländern ficht sie ebensowenig an wie die GAU– Premiere in der Ukraine: „Was heißt hier Gefahr“, gibt sich Shaker unbekümmert, „Sie sind mit dem Flugzeug hierhergekommen. War das etwa nicht gefährlich?“ Ein indonesischer Ingenieur erklärt mir, daß die Wissenschaftler schließlich das Atom nicht geschaffen, sondern nur entdeckt hätten. „Wie kann etwas schlecht sein, was Gott geschaffen hat. Wir sind Studenten Gottes.“ Wenig Erleuchtung war den Delegationen dagegen bei der Suche nach dem Rahmen für die zukünftige internationale Kooperation beschieden. Zu krass waren die Differenzen zwischen den Industrieländern, die auf Unterwerfung unter den NPT und das Safeguard–System der IAEA beharrten und den Entwicklungsländern, die einen großzügigen Technologietransfer und entsprechende Finanzierungshilfen einklagten, über „Wege und Mittel“ der Kooperation. Die Komitees mußten ihre ungelösten Streitfragen in Form von rund 300 oft völlig entgegengesetzten Anträgen unerledigt an das Plenum weiterreichen. Seit diesem Dienstag müht sich ein informell (sogar ohne Dolmetscher) tagendes Komitee hinter verschlossenen Türen um rettende Kompromißformeln. Sollte es bis heute tatsächlich ein Schlußkommunique zustandebringen, wird dieses, so wird erwartet, bestenfalls die unterschiedlichen Positionen auflisten. Ganz gleich wie das Papier ausfällt: „Die Situation nach dieser Konferenz wird nicht die gleiche sein wie zuvor“, prophezeit der Finne Ilka Makipentti. Die atomaren Habenichtse werden sich nicht länger hinhalten lassen, sondern nun auf eigene Faust AKW–Beschaffung betreiben.