Frankreich setzt auf die Neutronenbombe

■ Fünfjahresplan zur militärischen Aufrüstung in Höhe von 474 Milliarden Franc bezieht chemische Waffen und die Neutronenbombe mit ein Konsens in der französischen Nationalversammlung / Deutsch–französisches Bündnis betont / 50 Mrd. DM für die „Force de Frappe“

Aus Paris Georg Blume

Einen 474 Milliarden Franc (142 Milliarden Mark) umfassenden Fünfjahresplan zur militärischen Aufrüstung sollte noch am Donnerstag abend von der französischen Nationalversammlung verabschiedet werden. Ungeachtet aller derzeitigen Abrüstungsinitiativen und -bekundigungen bricht der Plan von den chemischen Waffen bis zur Neutronenbombe alle Tabus. Allein über 50 Milliarden DM gehen in den kommenden fünf Jahren in die Modernisierung der „Force de Frappe“. Dabei ist insbesondere die Ausrüstung der französischen strategischen Atom–U–Boote mit den zielgenaueren M5–Mehrfachsprengköpfen vorgesehen. Diese geplante atomare Aufrüstung begleitet heute der bei Gaullisten und Sozialisten immer deutlicher ausgesprochene Wunsch, die französische Abschrechungsdoktrin auf das Gebiet der Bundesrepublik auszuweiten, auch wenn hier die endgültige Entscheidungsgewalt des französischen Staatspräsidenten über den Einsatz der Waffen nicht zur Diskussion steht. „Das deutsch–französische Bündnis ist eine Notwendigkeit“, sagte Verteidigungsminister Andre Giraud. „Damit (dieses Bündnis) zu einer grundlegenden Realität wird und das europäische Schicksal (beider Länder) verknüpft, werden einige Schleier zerrissen werden müssen.“ In ähnliche Richtung äußerte sich erst kürzlich der ehemalige Premierminister Laurent Fabius auf dem Parteitag der Sozialisten, als er seine Partei aufforderte, die französische Nuleardoktrin zu erweitern, und von der Bundesrepublik verlangte, die dann „notwendigen Schritte“ einzuleiten. Fortsetzung auf Seite 6 Deutlicher wurden nun auch die französischen Erklärungen zum Bau der Neutronenbombe, deren Entwicklung die Sozialisten bereits 1980 zugestimmt hatten. „Frankreich hat heute die Fähigkeit, sich mit der Neutronenbombe auszustatten,“ gab gestern Giraud erstmals offen zu, doch ziehe er es vor, über deren Serienproduktion noch nicht zu entscheiden. Im Parlament forderte der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses der Nationalversamm lung und verteidigungspolitische Sprecher von Chirac, Francois Fillon, offen die „notwendige Stationierung“ der Neutronenbombe und sah diesbezüglich nur ein Hindernis: „Es verbleibt uns, die Bundesrepublik Deutschland davon zu überzeugen, daß diese Waffe eine wirksame Antwort auf das konventionelle Ungleichgewicht in Europa ist.“ „Zum ersten Mal in der Geschichte der fünften Republik,“ kündigte Chirac an, „werde ein von der Regierung vorbereitetes und vom Präsidenten, dem Oberbefehlshaber der Armee, gebilligtes Gesetz die quasi einmütige Zustimmung der nationalen Vertretung erhalten.“ Mit Ausnahme der Kommunisten hat die französische Nationalversammlung von Sozialisten bis Rechtsradikalen zu einem „wirklichen Konsens“ (Chirac) in der Verteidigungspolitik gefunden. Eine kontoverse Diskussion um die Bewillung des militärischen Rahmengesetzes fand nicht statt. Frankreich will danach an keiner Rüstungsfront den Kampf aufgeben und manifestiert so seinen fortwährenden Anspruch auf die Existenz als „mittlere Großmacht“. Nach wie vor, und vorallem dank Mitterrand, hält Frankreich mit dem neuen militärischen Rahmenplan am verteidigungspolitschen Primat der nuklearen Abschreckung fest.