Die Hosen voll

■ Zum Sperling–Gutachten über Trisomie 21

Der Berliner Humangenetiker Karl Sperling mag noch so viele Fassungen seiner Studie über Trisomie 21 und Tschernobyl vorlegen, er kann seine eigenen Ergebnisse nicht wegdiskutieren. Und danach gibt es einen wissenschaftlich begründeten Verdacht für einen Zusammenhang von Chromosomenanomalien und den Strahlen von Tschernobyl. Wer sieht, wie sich der Herr Professor windet, wie er nach unverdächtigen Formulierungen sucht, wie er kleinmütig, die Hosen hochsignifikant und gestrichen voll, versucht, sich auf unangreifbare Positionen zurückzuziehen, der sieht das ganze Dilemma der offiziellen Wisenschaft. Eine Wissenschaft ohne Zivilcourage, mit traumatischen Berührungsängsten vor Emotionen oder noch schlimmer: vor politischen Implikationen. Aber es kann keinen Rückzug auf die objektivierbare Zahlenwelt geben. Während Sperling laviert und zaudert, haben die sogenannte Strahlenschutzkommission und der Umweltminister einen Zusammenhang zwischen Tschernobyl– Fallout und Trisomie–Erhöhung bereits ausgeschlossen. Die Auseinandersetzung über die Frage von Mißbildungen nach Tschernobyl wiederholt nur alle anderen wissenschaftlichen Streits um die Atomenergie. Sie fällt in denselben Graben zwischen amtlich besoldeter, von Industrie und Behörden ausgehaltener „seriöser“ und der im Umfeld der Bürgerinitiativen agierenden „kritischen“ Wissenschaft. Wahrhaftes und Wertfreies gibt es da wenig, auf wissenschaftliche Reputation und gesellschaftlichen Konsens schielende Angsthasen umso mehr. Manfred Kriener