: IG Metall drängt auf eine Entscheidung
■ Die Gewerkschaft kann eine Streikentscheidung nicht lange hinausschieben / Von Martin Kempe
Seit Donnerstag abend ist der Fahrplan für den laufenden Tarifkonflikt zwischen der IG Metall und dem Arbeitgeberverband Gesamtmetall klar: Spitzengespräch noch vor Ostern und gleichzeitiger Schlichtungsversuch im Tarifgebiet Baden–Württemberg. Kommt es zu keiner Einigung, muß die IG Metall bis Anfang Mai ihre Urabstimmung durchgeführt haben, um den Streik nicht in den Sommerferien versacken zu lassen. Ob es soweit kommt, ist bislang beiden Seiten noch völlig unklar.
„Ab heute“, so IG Metall–Chef Franz Steinkühler, „stehen wir jeden Tag für ein Spitzengespräch mit dem Arbeitgeberverband Gesamtmetall zur Verfügung.“ Mit der Pressekonferenz der Gewerkschaftsspitze endete am Donnerstag nachmittag der bisherige Höhepunkt im diesjährigen Tarifkonflikt um die 35–Stunden–Woche. Sowohl die Arbeitgeber von Gesamtmetall als auch die Industriegewerkschaft Metall hatten ihre Führungsfunktionäre nach Frankfurt gerufen, um das weitere Vorgehen nach dem Scheitern der Verhandlungen in Baden–Württemberg zu beraten. Zunächst trafen sich die Arbeitgeber in einem Frankfurter Hotel. Sie waren bereits um die Mittagszeit fertig, hüllten sich aber über das Ergebnis ihrer Beratungen in Schweigen. Zunächst wollte man abwarten, was die IG Metall am Nachmittag beschließe, meinte Pressesprecher Riek zu den wartenden Journalisten. Taktik, psychologische Finesse, abwartendes Beobachten des Gegners kennzeichnen derzeit die Situation im Tarifkonflikt. Niemand - auch die unmittelbar Beteiligten nicht - kann derzeit sagen, ob er mit einem Verhandlungskompromiß endet oder in eine gesellschaftliche Konfrontation mündet, möglicherweise sogar eine verschärfte Neuauflage des siebenwöchigen Arbeitskampfs von 1984 zur Folge hat. Taktieren im Vorfeld Am Nachmittag dann die außerordentliche Vorstandssitzung der IG Metall in der IGM–Zentrale am Ufer des Mains. Eine große Anzahl von Journalisten hat sich in einem Sitzungssaal versammelt. „Die Sitzung kann ganz schnell zu Ende gehen, kann aber auch bis in den späten Abend dauern“, ver kündete IGM–Pressesprecher Jörg Barczynski. Aber die Geduld der Presseleute wurde nicht auf die Probe gestellt. Schon am späten Nachmittag hatte die IG Metall ihre Linie gefunden: Es bleibt alles offen. Zwei Entscheidungen mußten die Spitzenfunktionäre vor allem treffen. Aus Baden–Württemberg lag der Antrag der Großen Tarifkommission des Bezirks Stuttgart vor, die Tarifverhandlungen im Tarifbezirk Nordwürttemberg / Nordbaden für gescheitert zu erklären und das Schlichtungsverfahren einzuleiten. Und vom Bundesvorstand Gesamtmetall lag die - bewußt noch nicht bekanntgegebene - Aufforderung der Arbeitgeber vor, in einem Spitzengespräch mit der Gewerkschaftsführung einen Kompromiß zu suchen, der bisher in fast 90 regionalen Verhandlungsterminen nicht zustandegekommen war. Die Spitzengewerkschafter entschieden sich für das „Sowohl–als–auch“. Einmal stimmten sie einem Spitzengespräch zu, mit dem Ziel, noch vor Ostern zu einem Treffen zu kommen. Noch haben beide Seiten ein Interesse daran, öffentlich zu demonstrieren, wirklich alles getan zu haben, um ohne Arbeitskampf zu einem Kompromiß zu kommen. Aber anders als die Arbeitgeber fühlt sich die Gewerkschaft unter Zeitdruck. Denn sollte es zu einem Arbeitskampf kommen, muß sie spätestens Anfang Mai in die Urabstimmung gehen, um nicht am Ende eines längeren Arbeitskampfs mit den Ferienterminen in Kollision zu geraten. Aus diesem Grunde billigten die Spitzengewerkschafter auch den Antrag ihrer Kollegen aus Baden–Württemberg: Die Bezirksleitung in Stuttgart wurde beauftragt, am Freitag den baden–württembergischen Arbeitgebern schriftlich das Scheitern der Verhandlungen zu erklären und die Schlichtung anzurufen. Die Gewerkschaft, begründete Steinkühler den Doppelbeschluß vom Donnerstag, wolle vermeiden, „daß mit ewig langen Spitzengesprächen die Zeit verstreicht“. Denn das Schlichtungsverfahren dauert nach einem 1982 zwischen IGM und Gesamtmetall vereinbarten Schlichtungsabkommen 19 Arbeitstage, wäre also frühestens Ende April vorüber. „Wir können die Urabstimmung erst beschließen, wenn auch die Schlichtung geplatzt ist“, erläutert IGM–Sprecher Barczynski. IGM unter Zeitdruck Frühestmöglicher Streikbeginn wäre dann Mitte Mai. „Wenn wir am 11. Mai anfangen, sind wir am 20. Juni in der sechsten, am 27. Juni in der siebten Woche.“ In der Woche danach, am 2. Juli, aber fangen in Baden–Württemberg bereits die Sommerferien an. „Das heißt, wir hätten sieben Wochen Zeit für einen Streik, aber auch nicht mehr“, präzisiert der IGM– Pressesprecher die Perspektive der Gewerkschaft. Sieben Wochen aber hat auch der Arbeitskampf 1984 gedauert. Baden–Württemberg und Nordrhein–Westfalen - in diesen beiden Tarifbezirken wird in diesem Jahr die Entscheidung gesucht. Steinkühler, der selbst jahrelang Stuttgarter Bezirksleiter war, setzt wegen der vielfach erprobten Kampffähigkeit der Stuttgarter Metaller offenbar auf den Südwesten: Das Spitzengespräch solle mit dem Ziel stattfinden, eine Basis für einen Kompromiß in den regionalen Verhandlungen zu finden, „insbesondere in Baden– Württemberg“, meinte er am Donnerstag.
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