Anarcho–Treffen gegen die Berührungsangst

■ „Von der sozialen Bewegung zur sozialen Revolution“: Anarachisten laden zu den „Libertären Tagen“ in Frankfurt / „Revolution kommt nicht aus den Gewehrläufen“ / Kritik an der Egozentrik der Autonomen

Aus Frankfurt Heide Platen

Weder von Berührungsängsten geplagt noch krass drauf sind die vier mehr oder minder jungen Männer und die junge Frau zum Gespräch gekommen. Die fünf aus dem Libertären Zentrum in der Kriegkstraße im Frankfurter Arbeiterviertel Gallus haben, sagen sie, keine Probleme, „auf andere zuzugehen“. Die hätten vielmehr gerade die „linken Intellektuellen“ mit ihnen. Sie verstehen sich als Anarchisten im weiten Spektrum zwischen klassisch gewerkschaftlicher Orientierung und neuen Autonomen. Vorstellen wollen sie eine Veranstaltung, die vom 16. bis 20. April in der Fachhochschule am Nibelungenplatz stattfinden soll, die „Libertären Tage“. Die Veranstalter hoffen auf rund 2.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus 16 Ländern, die mindestens fünf Themenkomplexe diskutieren wollen. Kein Treffen der „Haßkappen–Fraktion“ Anarchismus, sagt Anton, das bedeutet für ihn die ganze Bandbreite von der Gewaltfreiheit der Graswurzelrevolutionäre bis zu der eher traditionellen Freien Arbeiter–Union (FAU), die sich inzwischen verjüngt und erneuert habe und nicht mehr nur dem Proletariat als einziger revolutionären Klasse zugewandt sei. Außerdem seien anarchistische Zeitungen und kulturelle Initiativen ebenso einbezogen wie die Autonomen. In einer dicken Arbeitsmappe stellen die Initiatoren Diskussionspapiere vor, die sich großenteils selbstkritisch mit der Militanz auseinandersetzen. Anton befürchtet, daß die „Libertären Tage“ von außen „wieder nur so wahrgenommen werden, daß sich da die Haßkappen–Fraktion trifft“. Ihm gehe es darum, - so auch der Titel der Dokumentation - „von der sozialen Bewegung zur sozialen Revolution“ zu kommen. Und dies soll in Arbeitsgruppen diskutiert werden. Soziale Revolution, das bedeutet für ihn die Einbeziehung des Alltäglichen, die Veränderung der Beziehungen der Menschen zueinander und zu ihrer Arbeit. Über Eigentum und Konsum, über Macho–Männer bei den Autonomen und über Theorie– Defizite soll geredet werden. „Soziale Revolution“, sagt er, „grenzt sich mehr ab gegen die Revolution als gegen den Reformismus“. Und: „Das kommt nicht aus den Gewehrläufen“. Elmar, altgedient im Anarchismus, möchte anreden gegen die „negative Prägung“, die der Begriff Revolution durch die kommunistische Tradition bekommen habe. Revolution finde täglich, auch am Arbeitsplatz und in den Wohnhäusern statt. Gerade die Autonomen hätten das bisher vernachläßigt, sich an der Startbahn oder in Wackersdorf oder sonstwo zwar gemeinsam militant gebärdet, seien dann aber vereinzelt in ihr Privatleben zurückgekehrt. Zu den Grünen grenzen sich die traditionellen Nichtwähler ab. Sie wollen nicht in die Parlamente. Die 68er Revolte, sagt Anton spöttisch, sei eigentlich „auch eine schleichende Revolution“ gewesen, bescheinigt „den 68ern“ allerdings Erfolg, „im Prinzip furchtbar viel“. Sie hätten nur zu früh aufgegeben, hätten sich vereinnahmen lassen. Das will Elmar dann aber auch für die „eigenen Reihen“ gelten lassen. Er habe schon „68er, 70er, 72er, auch 80er gesehen, die meinen, sie hätten schon alles erlebt und das Leben eines Revolutionärs hinter sich“. Das sei eben das Schwierige im Kapitalismus, er biete immer die Möglichkeit der „Rückkehr“...“. Anarchistische Infrastruktur Elmar möchte, daß Anarchisten verschiedenen Alters und verschiedener Geschichte gemeinsam eine Infrastruktur schaffen. Es sei ein erheblicher Mangel, daß das „bei den Alternativen“ funktioniere, bei ihnen aber nicht. Auch dazu sollen die „Libertären Tage“ dienen. Es sollen Zeitungen zusammenarbeiten, Arbeitslosen– und Jobber–Initiativen „vernetzt“ werden, Erfahrungen in Wohnung und Betrieb ausgetauscht werden. Auch die zwischenmenschlichen Beziehungen und das „Macker–Verhalten der Männer“ als Arbeitsgruppen stehen auf dem Programm. Der überhebliche Fighter–Gestus wird angegriffen und Frauen stellen verärgert fest, daß bisher immer sie dafür zuständig waren, diese traditionellen Verhaltensmuster zu kritisieren. Claudia sieht das ambivalent. Einerseits haben etliche autonome Frauen resigniert und treffen sich jetzt in Frauengruppen, um dort ohne Männer über deren und die eigenen Probleme zu reden. Andererseits will sie sich nicht so einfach „auseinanderdividieren“ lassen und ihr politisches Engagement „nur auf Frauen“ beziehen. „Typisch“, sagt sie, als alle sie erwartungsvoll anblicken, als das Thema „Frauen bei den Autonomen“ angesprochen wird. Sie meint, ihre männlichen Mit–Anarchisten hätten dazu gefälligst auch etwas beizusteuern. Zur geplanten Arbeitsgruppe über neue Technologien hat Bernd trotz der generell kritischen Position einige alte anarchistische Hoffnungen nicht vergessen. Wenn Computer wirklich dazu eingesetzt werden könnten, die Gesellschaft von der Lohnarbeit zu befreien, wären sie durchaus ein Mittel auf dem Weg zur Verwirklichung des Traumes vom befreiten, spielerischen Menschen. In der kapitalistischen Realität allerdings sei Widerstand angesagt. Er ärgert sich, daß „die radikale Szene“ solche wichtigen Themenkomplexe „einfach ignoriert“. Die Tagung endet am 20. April mit einem Abschlußplenum. Für Karfreitag ist, wie auch anders, eine „Atheistenfete“ angekündigt. Die Arbeitsmappe ist für zehn Mark zu bestellen (Konto G. Neumann (LT), PSchA Frankfurt 500 812–602, Anmeldungen beim Libertären Zentrum, Kriegkstr. 38).