Zhao Ziyangs politischer Seiltanz

■ Am Samstag ging in Chinas Hauptstadt Beijing der Nationale Volkskongreß zu Ende / 2.700 Delegierte haben die Fronten zwischen „Konservativen“ und Reformern geklärt / Zhao Ziyang bleibt Kompromißfigur im unentschiedenen Machtkampf / Gegenüber der Presse waren beide Flügel erstaunlich offen

Aus Beijing Jürgen Kremb

Zhao Ziyang legte ein Gelöbnis ab. „Von heute an“, erklärte der chinesische Premier und amtierende Parteichef letzte Woche in Beijing am Rande des Volkskongresses, „werde ich nie mehr einen Mao–Anzug tragen.“ Einen Grund nannte er den verdutzt zuhörenden Reportern aus Hongkong und Macau auch gleich mit. Zu Beginn der Kampagne „gegen bürgerlichen Liberalismus“ wären viele KP–Kader wieder in das Kleidungsstück mit revolutionärem Anspruch geschlüpft. Mehr noch, Kreise in der Partei hätten sogar nach dem Sturz des vorherigen Parteichefs Hu Yaobang im Januar versucht eine Massenbewegung gegen die Reform zu initiieren. „Aber ich kann versichern, daß die Ultralinken keine Chance mehr haben in China“, meinte der 68jährige Zhao. „Sie sind zum Scheitern verurteilt.“ Um das im In– und Ausland am eigenen Leibe zu demonstrieren, „werde ich nur noch westliche Kleidung tragen“, sagt er. So absurd es sein mag, daß Chinas Premier in Zukunft Dressman für die Reform spielen muß, so deutlich mag es wiedergeben, was sich in den vergangenen 16 Tagen auf der fünften Sitzung des sechsten Volkskongresses zugetragen hat. Hinter den verschlossenen Türen der großen Halle des Volkes haben die gut 2.700 Delegierten bei oft äußerst kontroversen Diskussionen offenbar die Fronten für den 13. Parteitag der KPCH im Oktober geklärt. „Die Klingen sind geschliffen, doch die Messer für die Personalentscheidungen noch nicht gezückt“, wie es der Hongkong Standard zusammenfaßte. Überraschend für viele Beobachter war die souveräne Rolle, die Zhao Ziyang dabei spielen konnte. Noch Wochen vor der Sitzung des gesamtchinesischen Parlaments waren Zweifel in der Hauptstadt aufgetaucht, ob Zhao überhaupt beide Posten behalten könne. Vizepremier Li Peng, hieß es, solle Ministerpräsident werden und der Bürgermeister von Chinas drittgrößter Stadt Tianjing, werde in dessen Amt nachrücken. Zhao als Kompromißkandidat Doch offenbar wird der Reformer Zhao mittlerweile von allen Seiten in der KP als Kompromißkandidat angesehen. Eine Rolle, die er vielleicht noch über den 13. Parteitag hinaus spielen könnte, wie Vizepremier Li Peng auf einer Pressekonferenz andeutete. Für Zhao scheint das freilich mitunter zum politischen Seiltanz zu werden. So warnte er bei seiner Eröffnungsrede die Kader in der Partei, die gegenwärtige Kampagne nicht für ihre Politik zu mißbrauchen. Ein deutlicher Hieb in die Richtung der Erzkonservativen, die ei ner strengen Planwirtschaft und einer auf sozialistische Moral besonnenen Kulturlandschaft in China den Vorzug geben. Gleichzeitig verurteilte er aber Hu Yaobang, weil er dem „bürgerlichen Liberalismus“ nicht energisch entgegengetreten sei. Ähnlich bei einer Pressekonferenz. „Keine Bedenken“, meinte der Premier, „Hongkong und Macau können weiterhin den bürgerlichen Liberalismus praktizieren“. Die Kommunistische Partei Chinas, wolle ja schließlich vom Kapitalismus der beiden Städte profitieren, wenn sie Ende des Jahrhunderts sogenannte „Regionen mit einem hohen Grad von Selbständigkeit“ im sozialistischen China werden. „Wer in China in Tagen des Machtkampfes nicht den Boden unter den Füßen verlieren will, muß mitunter die Seiten wechseln“, meint Li Yi, Chefredakteur des Hongkonger Magazins Nineties (jiushi niandai). Erfolge für beide Flügel Zusammen mit Experten in Chinas Hauptstadt ist er sich aber darüber einig, daß dieser Nationale Volkskongreß (NVK) sowohl von den sogenannten Konservativen in Chinas KP als auch von den Reformkräften als Erfolg bewertet werden kann. Das gilt vor allem für die Wirtschaft. Eine Sparsamkeits–Kampagne im ganzen Land, die auf mehr Effektivität bei geringerem Verbrauch zielt, macht einen langgehegten Wunsch der Konservativen deutlich. Der Schwerindustrie soll wieder nach Maos Vorbild aus den fünfziger Jahren mehr Beachtung geschenkt werden. Außerdem werden in ganz China derzeit die Konsumgüterindustrie und der Export energisch zurückgedreht. Gleichzeitig ließen die Reformer aber im Verlauf des Kongresses keinen Zweifel daran aufkommen, daß eine Anpassung des verzerrten Preis– und Lohnsystems bald weitergehen werde. Sie war seit 1984 stets als „Hauptkettenglied der Reform“ bezeichnet worden. Um zumindest nach außen hin ein Bild von Einigkeit zu demonstrieren, gab sich Chinas Führung in den vergangenen zwei Wochen weniger verschlossen als gewohnt. Wenige Tage nach der Eröffnung stellten sich sämtliche Vizepremiers den Fragen der internationalen Presse und selbst der militärische Hardliner Guo Linxiang und der erzkonservative Kongreßvorsitzende Peng Zhen, traten an die Öffentlichkeit. Während Guo jedoch betonte, daß man im Kampf gegen den „bürgerlichen Liberalismus“ nicht zaudern dürfe, leugnete Peng Zhen (85), daß es überhaupt einen Streit zweier Linien in der KPCH gebe. Daß dies freilich nicht ganz den Fakten entspricht, zeigten die heftigen Debatten beim NVK zu kulturellen Aspekten. Kulturkampf im Gange Theaterregiseur Su Qiong, der sich als NVK–Delegierter in der Vergangenheit stets sehr besorgt um die sozialistische Moral gezeigt hatte, feuerte Breitseiten gegen den liberalen Kulturminister Wang Meng. „Einige Schriftsteller unter den Genossen“, schuld daran sei Wang Meng. Wie Insider behaupten, drängen die Konservativen um Deng Liqun auf eine Neuordnung des Kulturbereichs. Wie in den letzten Tagen bekannt wurde, mußten in der südlichen Guangxi Provinz bereits 31 Literaturzeitschriften dichtmachen. Waren dies zwar in der Mehrzahl reine Schundblätter, so könnte es die Probe der Hardliner aufs Exempel im ganzen Land gewesen sein. Das dürfte allerdings ohne die namhaften Schriftsteller des Landes vonstatten gehen und sich damit als Schuß in den Ofen entpuppen. Denn von den international bekannten Schreibern Chinas hat sich in der Kampagne noch kein einziger zu Wort gemeldet. Selbst die Reformer im NVK und in der politischen Konsultativ–Konferenz des chinesischen Volkes (PKKCV), die zeitgleich tagte, zeigten, daß sie ihr Pulver noch lange nicht verschossen haben. Der Schriftsteller und NVK–Mitglied Guan Hua warnte: „Die derzeitige Kampagne vermindert nicht ein Chaos, sondern kann uns nur eines wie die Kulturrevolution zurückbringen“. Und sein Hongkonger Kollege aus dem PKKCV forderte sogar die Erzkonservativen Deng Liqun und Hu Qiaomu zu einem Fernsehduell auf. „Das Problem Chinas ist nämlich nicht zuviel, sondern, im Gegenteil, zu wenig Freiheit“, fand er, an deren Adresse gerichtet.