Südkorea: Demokratie auf dem Abstellgleis

■ Die versprochene Verfassungsänderung wird auf die Zeit nach 1988 verschoben / Spaltung der Opposition als Begründung / Präsident Chun Doo–Hwan kann seinen Nachfolger notfalls selbst ernennen / Opposition gerät bei bestehendem Wahlmodus ins Hintertreffen

Aus Seoul Jürgen Kremb

Südkorea wird nicht vor den olympischen Sommerspielen im Jahre 1988 zu demokratischen Verhältnissen zurückkehren. Dies ist seit Sonntag abend amtlich, als Präsident Chun Doo–Hwan, das 1985 gemachte Versprechen zurückzog, die Verfassung noch vor Ablauf seiner Amtszeit im Frühjahr 1988 zu ändern. Damit, so befürchtet die Opposition, wird der gegenwärtige Polizeistaat und die Kontrolle der Politik durch die Militärs noch bis weit in die neunziger Jahre andauern. Nachdem sich in der letzten Woche die „Neue Koreanische Demokratie Partei“ (NKPD) als oppositionelles Sammelbecken des Landes über ein weiteres Vorgehen in der Frage der Verfassungsänderung gespalten hatte, ist nun zu befürchten, daß die Dauerkrise im Süden des geteilten Landes auf einen neuen Höhepunkt zutreibt. Chun Doo–Hwan erklärte in seiner sonntäglichen Fernsehansprache, er werde zwar wie vorgesehen am 25. Februar kommenden Jahres zurücktreten, doch könne es vorher nicht mehr zu der geplanten Verfassungsänderung kommen. Diese Aufgabe wolle seine „Demokratische Gerechtigkeitspartei“ (DJP) erst 1989 angehen, wenn Südkorea „erfolgreich die olympischen Sommerspiele im nächsten Jahr durchgeführt“ habe. Im Klartext heißt das, Chun wird seinen Nachfolger quasi ernennen können, der dann bis 1995 im Amt bleibt und die Fortdauer der gegenwärtigen polizeistaatlichen Politik garantiert. Die Schuld für diese Entscheidung gab er obendrein der Opposition, die „jeden parlamentarischen Kompromiß für das kommende Jahr unmöglich“ gemacht habe. In einer ersten Stellungnahme erklärte der Oppositionsführer Kim Dae– Jong, diese Entscheidung Chuns werde scharfe Proteste und Widerstand in der Bevölkerung hervorrufen. Zankapfel: Wahlmodus des Präsidenten Im streng antikommunistischen Südkorea sind militärgestützte Diktaturen seit Ende des Koreakrieges 1954 an der Tagesordnung. Auch der seit 1980 regierende Chun kam durch einen Militärputsch an die Macht, nachdem sein Vorgänger Park einem Anschlag seines eigenen Geheimdienstchefs zum Opfer fiel. Als es in der Folge im Mai 1980 zu Demonstrationen in der Stadt Kwang Ju kam, rückten Eliteeinheiten der südkoreanischen Armee an. Nach offiziellen Angaben starben bei dem Einsatz 189 Menschen. Ein Jahr später verabschiedeten sich die Militärs offiziell von der Macht und Chun ließ sich als ziviler Präsident im Amt bestätigen. Ende 1985 überraschte er aber damit, daß er ankündigte, er werde nach Ablauf seiner Amtszeit im Frühjahr regulär zurücktreten und die Arbeit einem Nachfolger übergeben. Aber gerade das ist der springende Punkt. Denn nach dem bisherigen Wahlmodus wird der Staatschef von einem 5.000 Köpfe zählenden Gremium bestimmt, das nach Meinung der Opposition den Fortbestand der gegenwärtigen Verhältnisse sichert. In der Folgezeit stimmte die Regierung einer Verfassungsänderung zu, nachdem die NKDP landesweite Proteste organisiert hatte. Doch wie diese Reform aussehen soll, darüber waren sich die verfeindeten Lager in den letzten beiden Jahren keinen einzigen Schritt näher gekommen. Chuns Regierungspartei strebt das Modell eines starken Premiers an, der von der Nationalversammlung gewählt wird. Einziger Schönheitsfehler dabei ist wiederum das koreanische Wahlgesetz zur Natio nalversammlung. Es schlägt nämlich der stärksten Fraktion im Parlament automatisch einen erheblichen Stimmenanteil zu, so daß Chuns DJP stets die absolute Mehrheit schaffte. Die NKDP vermerkte zurecht, daß sie dieses Ziel nie erreichen werde, weil ihre Mitglieder nicht nur von den staatlichen Medien ausgeschlossen seien, auch verfolgt und mit Hausarrest oder Haft bedroht würden. Die Opposition möchte deshalb den Präsidenten direkt wählen. Bei diesem Verfahren würde die DJP laut NKPD den Kürzeren ziehen. Dafür sei die Regierungspartei zu unbeliebt, meinen die Oppositionsführer Kim Dae–Jong und Kim Jong–Sam, mit Verweis auf die landesweiten Massenproteste und die geschätzten 2.000 politischen Gefangenen. Zerstrittene Opposition Beoachter bezweifelten von Anfang an, daß es möglich sei, die Verfassung und 200 damit ver bundene Gesetze bis zum Ende der Amtszeit Chuns durchzupeitschen. Das hätte nämlich nicht nur eine Zwei–Drittel–Mehrheit im heillos zerstrittenen Parlament, sondern einer Volksabstimmung bedurft. Als deshalb seit Beginn dieses Jahres Teile der NKDP unter dem Parteichef Lee Min–Woo auf die Linie der Regierung einschwenkten, werteten viele Beobachter das als direkten Angriff gegen die beiden Kims und ihren Griff zur Macht. Die innerparteilichen Machtkämpfe gipfelten schließlich darin, daß Lee mit 300 seiner Anhänger die Partei–Zentrale der NKDP besetzen ließ und Kim Jong–Sam vor Gericht verklagte. Nach tätlichen Auseinandersetzungen in der letzten Woche entschlossen sich die beiden Oppositionsführer schließlich, eine neue Partei zu gründen. Sie vereinen nach wie vor 70 der 90 NKDP–Parlamentarier hinter sich. Doch Kim Dae–Jong ist wegen einer ausgesetzten Gefängnisstrafe von 20 Jahren wegen angeblicher Organisation der Kwangju–Proteste von jeglicher politischer Arbeit verbannt. Seit seiner Rückkehr nach Korea im Jahre 1985 wurde er diese Woche zum 50sten Male unter Hausarrest gestellt. Mit der Ankündigung von Chuns Gerechtigkeitspartei, die Verfassung nicht vor 1989 zu ändern und den Nachfolger von Chun Doo–Hwan nach dem bisherigen Modus zu wählen, wird sicherlich noch einmal beträchtlich viel Öl ins ohnehin hochlodernde innenpolitische Feuer gegossen. Besser hätte Roh Tae–Woh als vermutlich nächster Präsident Koreas den beiden Kims sicherlich nicht den schwarzen Peter zuspielen können. Denn kommt es jetzt zu keinem Kompromiß mehr zwischen innerlich zerstrittener Opposition und Regierung, so kann er bis zum Ende seiner Amtszeit im Jahre 1995 die gegenwärtigen Verhältnisse Koreas bewahren.