Farce

■ Honecker kommt nicht nach West–Berlin

Honecker hat abgesagt. Unerwartet ist es nicht, und auch verdenken mag man es ihm nicht. Schon die mißtrauischen Blicke des Redners Kohl, mit denen er das Publikum kontrolliert, damit ihm niemand das Glas Wasser klaue, hätte womöglich der Staatsratsvorsitzende auf sich bezogen. Die Amtsträger drüben sind ja so sensibel. Er hätte sich die Suada freiheitlicher Westbindung als Bruder von drüben anhören müssen. Und wenn er an den vorgesehenen Stellen nicht geklatscht hätte, hätte er als verkniffener Spielverderber dagesessen. Hätte er geklatscht, wäre er in eine ganz neue Ostpolitik gerutscht. Moskauer Warnungen in Richtung Statusfrage sind jedenfalls nicht der Grund. Schließlich hätte er im Kongreßzentrum gewissermaßen in personam die Existenz der Drei–Staaten–Theorie darstellen können. Es war eine Möglichkeit, Gorbatschowschen Frühlings–Schwung gegen die Berlin– Bonner Status–quo–Artistik zu setzen. Doch Honecker kann nicht darstellen, er kann nur repräsentieren. Da er schon auf seinen eigenen Empfängen jene subalterne Zufriedenheit ausstrahlt, als sei er in der letzten Minute doch noch eingeladen worden, hätte er neben Weizsäcker gewirkt, als wolle er nun auch einmal ein Gläschen Veuve Cliquot verkosten. So bleibt denn die Gesamtberliner Laokoon–Gruppe aus Alliierten, Bürgermeistern, Bundespräsidenten und Staatsratsvorsitzenden erhalten, die starr die Status–Schlangen weghalten. Ohnehin ist die Berliner Jubiläums–Besuchsdiplomatie zu einem Show–down zweier Fallensteller verkommen. Diepgen, der immer noch die Kuh spielt, die sich am eigenen Schwanz vom Eis zerren will, kann sich nicht mehr hinter dem Honecker–Besuch verstecken. Er muß selbst entscheiden, ob er im Oktober den DDR–Staatsakt beehren will oder nicht. Aber der Weltpolitiker aus Mangel an Substanz wirds schon drehen. In welche Richtung ist mittlerweile egal. Klaus Hartung