Südkorea beginnt mit Abbau des Schuldenberges

■ Verschuldungskrise in Lateinamerika spitzt sich zu - Südkorea ein Modell für die Dritte Welt? / Soziale Kosten der Ausbeutung billiger Arbeitskräfte ausgeblendet

Aus Seoul Dirk Messner

„Hier ist also unser Modellkandidat unter den Schuldnerländern“, wurde der wirtschaftspolitische Chefberater der südkoreanischen Regierung von US–Finanzminister Baker auf einer Tagung zur internationalen Finanzkrise vorgestellt. Anlaß war eine Veranstaltung von einigen der größten US– Banken im Dezember 1986, zu der auch Vertreter der 17 wichtigsten Schuldnerländer geladen waren. Tatsächlich ist die Bilanz des ostasiatischen Schwellenlandes beeindruckend, insbesondere auf dem Hintergrund der sich zuspitzenden Verschuldungskrise in Lateinamerika. Noch 1985 hatte die Regierung geplant, 1988 mit der Abtragung der Schulden zu beginnen, die bis dahin auf 48,2 Mrd. US–Dollar angewachsen sein würden. Doch bereits Ende 1986 war Südkorea in der Lage, neben dem vereinbarten Schuldendienst in Höhe von 3,5 Mrd. US–Dollar noch 2,3 Mrd Dollar zusätzlich zurückzuzahlen. Bereits in den ersten beiden Monaten des neuen Jahres konnten weitere 700 Millionen Dollar zurücküberwiesen werden, so daß die aktuelle Schuldenlast 43,5 Mrd. Dollar beträgt. Die überraschend günstige Entwicklung basiert auf einem Handelsbilanzüberschuß von 4,2 Mrd. Dollar 1986 und einem Wachstum des Bruttosozialprodukts von über zwölf Prozent. Die koreanische Finanzadministration plant nun, die Verschuldung des Landes, die sich von 1979 auf 1985 mehr als verdoppelt hatte, bis 1991 auf 33,4 Mrd. Dollar zu reduzieren. Allein 1987 sollen 2,7 Mrd. Dollar zurückgezahlt werden. Südkorea hat seine Exporte in den achtziger Jahren durchschnittlich um jährlich gut zwölf Prozent steigern und 1986 erstmals seit 1960 einen Handelsbilanzüberschuß erwirtschaften können. Grundlage dieses Erfolges ist zum einen, daß Südkorea von 1978 bis 1985 seine terms of trade um 23 Prozent verbessern konnte, während sich beispielsweise die Position Brasiliens im gleichen Zeitraum aufgrund des großen Anteils an Agrarprodukten im Exportpaket, deren Preise stark gefallen sind, um 50 Prozent verschlechtert hat. Interessanter ist jedoch, daß der Exportboom Südkoreas in den letzten Jahren fast ausschließlich auf einem steigenden Handelsbilanzüberschuß mit den USA beruht. Gleichzeitig stagnieren die Handelspositionen mit anderen Ländern, das Defizit mit Japan hat sich sogar von 1982 bis 1986 verdreifacht. Der Erfolg Südkoreas basiert daher primär auf der gigantischen Schuldenökonomie und dem Handelsbilanzdebakel der USA. Zwar bedeutete die US–Hochzinspolitik der achtziger Jahre auch für Südkorea eine enorme Belastung in Form steigender Schuldendienste, doch es gelang diesem Schwellenland, seine Exporte in die USA im Zeitraum von 1980 bis 1986 jährlich um gut ein Fünftel zu steigern, und damit die negativen Effekte überzukompensieren. Allein 1986 konnten die Exporte in die USA um 36 Prozent gesteigert werden, ein Trend, der sich auch im neuen Jahr fortsetzt. Der Preis für diesen Erfolg ist eine zunehmende Abhängigkeit vom US–Markt: Von 1981 bis 1986 stieg der Anteil der koreani schen Ausfuhren in die USA an den Gesamtexporten von 26 auf 42 Prozent. Angesichts dieser Entwicklung verwundert es nicht, daß sich die Vertreter des US–Handelsministeriums in Seoul die Klinken gegenseitig in die Hand drücken, eine weitere Öffnung des koreanischen Marktes für amerikanische Waren fordern und sich ganz und gar nicht den Lobeshymnen des Finanzministers Baker auf die erfolgreiche, vorbildliche koreanische Anpassungspolitik anzuschließen gedenken. Sie verweisen darauf, daß die USA 1985 allein 73 Prozent aller Schuhe, 72 Prozent der elektronischen Produkte, 50 Prozent der Maschinen und 90 Prozent der Computerwaren aus dem koreanischen Handelspaket aufgekauft hätten und drohen mit protektionistischen Maßnahmen. Seit dem Ende 1985 von den USA eingeleiteten Versuch, den Wert des Dollars zu senken, um so ihrer Handelsbilanzprobleme Herr zu werden, profitiert die koreanische Export–Ökonomie, mit einer Export– Quote von 40 Prozent, von den „three lows“: niedriger Dollarkurs, niedriger Ölpreis und niedrigere Zinsen. Die Koreaner haben ihre Währung etwa parallel zum Dollar mit abgewertet, damit ihre Konkurrenzposition auf dem amerikanischen Markt stabilisiert und gleichzeitig aufgrund des aufgewerteten Yen ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber japanischen Waren gestärkt, was nicht zuletzt steigende Exporte in die EG ermöglicht hat. Darüber hinaus konnte durch sinkende Zinsen und Ölpreise die Handelsbilanz weiter entlastet werden. Die koreanischen Planungsbehörden schätzen, daß etwa die Hälfte des Handelsbilanzüberschusses auf diesen günstigen externen Bedingungen beruht. Die koreanische Ökonomie hat also von den weltwirtschaftlichen Wirren der achtziger Jahre profitiert. Doch dieses „Wirtschaftswunder“ basiert auf einer äußerst fragilen Situation in der Weltwirtschaft, insbesondere der jeweiligen Wirtschaftsentwicklung - und Politik der Vereinigten Staaten. Sollten die USA ihren Protektionismus verstärken und die koreanische Regierung zwingen, ihre Währung spürbar aufzuwerten, so könnte der Traum von langfristigen Handelsbilanzüberschüssen leicht wie eine Seifenblase zerplatzen. Was bleibt also von Südkoreas Schuldenmanagement als Modell für die Dritte Welt? Einmal ganz abgesehen von den ungeheuren sozialen Kosten, die der Exportboom in Südkorea zeitigt, da die Konkurrenzfähigkeit noch immer auf der Überausbeutung billigster Arbeitskräfte beruht, die letztlich nur in einem autoritären Staat durchsetzbar sind, wären „viele Südkoreas“ in der Weltwirtschaft schon theoretisch undenkbar. Denn sollten die hochverschuldeten Entwicklungsländer erfolgreich den Weg Koreas kopieren können, so müßten nach Adam Riese vor allem die Industriestaaten Handelsbilanzdefizite hinnehmen sowie der Welthandel enorm anwachsen. Dies scheint allerdings ohne eine Lösung der internationalen Finanzkrise undenkbar. Ein Zirkel deutet sich an. Berücksichtigt man weiterhin, daß auch die USA in Zukunft ihr Handelsbilanzdesaster überwinden müssen, um ihre Verschuldung finanzieren zu können, außerdem sich auch in Japan und der EG aktuell eher verlangsamter Wachstumspfade am konjunkturellen Horizont abzeichnen, so fällt es schwer, sich vorzustellen, daß die Verschuldungskrise über einen fulminanten Exportboom der Entwicklungsländer gelöst werden könnte. Die Widersprüche zwischen den Akteuren des verworrenen Weltwirtschaftstheaters haben sich weiter verkompliziert, da die Weltwirtschaft zunehmend die Form eines Nullsummenspiels angenommen hat. Was allerdings noch wichtiger ist: es liegt kein Drehbuch vor, und es ist kein Regisseur in Sicht, der das chaotische Durcheinander auf dieser Bühne in ein halbwegs geordnetes Zusammenspiel überführen könnte. Von der ehemals schillernden Hegemonialmacht USA ist sicher keine Initiative zu erwarten. Der destruktive „Kampf der feindlichen Brüder“ wird daher weitergehen.